Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

424 Kr##rich. (Juli 4.—6.) 
4. Juli. (Paris.) Der „Matin“" bringt folgende Mitteilung 
eines „deutschen Diplomaten“ an seinen Berliner Vertreter über die 
deutschen Entschädigungsansprüche: 
In Verträgen haben wir das politische Uebergewicht Frankreichs 
anerkannt. Frankreich hat dafür allen Mächten die offene Tür gewährleistet. 
Jetzt handelt es sich darum, Bürgschaften zu verlangen, daß der Grundsatz 
der offenen Tür immer aufrecht erhalten bleibe, und überdies Entschädigungen 
zu bekommen. Deutschland wünscht schon seit langem seine Kamerunbesitzung 
nach dem französischen Kongo hin etwas zu erweitern. Auch gegen Lere 
und nach dem Tschadsee werden Grenzberichtigungen erwünscht. Wir haben 
von allem Anbeginn durch unseren Botschafter in Paris der französischen 
Regierung zu wissen getan, daß wir uns einer Absendung französischer 
Truppen nach Marokko nicht widersetzen, wenn das Leben französischer 
Staatsangehöriger bedroht ist. Deutschland konnte die Verantwortung dafür 
nicht übernehmen, daß Europäer infolge seines Einspruches niedergemetzelt 
würden. Machen Sie jedoch die französische Regierung darauf aufmerksam, 
daß auch wir, wenn unsere Staatsangehörigen bedroht sein würden, niemand 
die Sorge für ihre Verteidigung überlassen und unsere volle Handlungs- 
freiheit wieder in Anspruch nehmen würden, auch die, Schiffe nach Marokko 
zu schicken. Von einer Hinterlist oder Unehrlichkeit Deutschlands darf also 
keine Rede sein. 
5. Juli. Der „Temps“ über deutsch-französische Unter- 
nehmungen und Projekte in Marokko und in den afrikanischen 
Kolonien. 
Es wird auf die Verhandlungen über den Bau einer Kamerun- 
Kongobahn hingewiesen, welche von Kamerun nach Französisch-Kongo führen 
und womöglich nach dem belgischen Kongostaat verlängert werden sollte. 
Obgleich eine mit den diesbezüglichen Vorarbeiten zu betrauende Gesell- 
schaft geplant und eine Kilometer-Garantie seitens der französischen und der 
deutschen Regierung ins Auge gefaßt war, gerieten die Verhandlungen, die 
im April d. J. zwischen dem damaligen Finanzminister Caillaux und deutscher- 
seits angeknüpft worden seien, im Juni ins Stocken; ebenso seien die über 
die deutsche Beteiligung an den Marokko-Bahnbauten geführten Verhand- 
lungen seit dem Rücktritt des Kabinetts Briand ins Stocken geraten. 
6. Juli. Der „Figaro“ über die Störungen der Verhand- 
lungen mit Deutschland über Marokko. 
Tatsächlich hat Deutschland in den letzten zwei Jahren häufige und 
lange Unterhaltungen mit Frankreich gehabt, es ist aber dabei zuletzt doch 
nie etwas herausgekommen. Als sich an der Kamerun-Kongogrenze Schwierig- 
keiten ergaben, regte der damalige Minister des Aeußern, Herr Pichon, 
den Gedanken an, eine gemischte deutsch-französische Handelsgesellschaft, die 
zur Hälfte mit französischem und zur anderen mit deutschem Kapital aus- 
zustattende französische Gabon-Gesellschaft zu gründen. Botschafter Jules 
Cambon war über diesen Gedanken sehr erfreut. Der damalige Kolonie- 
minister Herr Trouillot gab über den Plan das günstigste Gutachten ab, 
Herr v. Schoen und Herr Pichon unterzeichneten ein endgültiges Abkommen, 
vorbehaltlich der parlamentarischen Gutheißung natürlich. Darüber fiel das 
Ministerium Briand. Das Ministerium Monis kam ans Ruder, Herr 
Cruppi folgte Herrn Pichon nach. Den RKolonieminister ersetzte Herr 
Messimy. Herr Cruppi hatte keine richtige Vorstellung von der Bedeutung
	        
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