Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

fr###kreich. (Juli 6.—11.) 425 
des unterzeichneten Abkommens und ließ es in seinem Archiv liegen. Herr 
Messimy ging weiter. Er kündigte dem Haushaltsausschuß der Kammer 
an, daß er den Plan der Gabongesellschaft aufjgebe und die Kammer sich 
mit dem zwischen Herrn v. Schoen und Herrn Pichon geschlossenen Vertrag 
nicht mehr zu beschäftigen habe. Erst Ende Juni kam Herr Cruppi zur 
Erkenntnis, daß hier ein schwerer Fehler begangen worden sei, und er be- 
auftragte Herrn Jules Cambon, mit der Reichsregierung neue Unter- 
haltungen über das wirtschaftliche Zusammenarbeiten Deutschlands und 
Frankreichs in Marokko zu beginnen. Er wurde ermächtigt, ausdrücklich 
zu erklären, daß die französische Regierung diesmal den bestimmten Willen 
habe, das frühere Abkommen zur Wirklichkeit zu machen. Die gewünschte 
Unterhaltung fand gegen Ende Juni in Kissingen zwischen dem Botschafter 
und Herrn v. Kiderlen-Wächter statt und ließ bei beiden Gesprächs- 
teilnehmern den besten Eindruck zurück. Da, an dem Tage, als Herr Cambon 
in Paris eintraf, um Herrn Cruppi über seine Unterredungen Bericht zu 
erstatten, trat dieser von seinem Ministerium zurück, und unversehens tauchte 
der Seinepräfekt de Selves als Minister des Aeußern auf, und Herr 
Cambon konnte sich überzeugen, daß der neue Minister von den Einzelheiten 
der Lage noch nicht die leiseste Ahnung hatte. 
6. Juli. (Kammer.) Kompromiß der Parteien über die 
Wahlreform. 
Jedes Departement bildet einen einzigen Wahlkreis. Wenn er jedoch 
mehr als sieben Abgeordnete zu wählen hat, so wird das Departement in 
so viele Wahlkreise geteilt, als es sieben Abgeordnete zu wählen hat. Jede 
Parteiliste erhält so viele Abgeordnetensitze, als die auf sie abgegebenen 
Stimmen Wahlquotienten enthalten. Der Wahlquotient ist die Zahl, die 
sich ergibt, wenn man die Zahl der abgegebenen Stimmen im Wahlkreis 
mit der Zahl der vom Wahlkreis zu wählenden Abgeordneten teilt. 
8. Juli. Bei der ersten Lohnauszahlung nach Inkrafttreten 
der Altersversicherung verweigern die meisten Arbeiter die Bei- 
bringung einer Versicherungskarte und den Abzug für die Marken. 
(Siehe 3. Juli.) 
9. Juli. (Paris.) In der Jahresversammlung des Landes- 
rats der „)geeinigten Sozialistenpartei“ wird gegen den Rat Jaures 
der Antrag Guesde, gegen die Altersversorgung mit Beitragspflicht 
der Versicherten den Krieg bis aufs Messer fortzusetzen, mit 87 
gegen 52 Stimmen angenommen. 
11. Juli. ammer.) Der Minister des Auswärtigen de Selves 
über die Agadir-Angelegenheit: 
„Man hat von mir Auskünfte verlangt über die Vorgänge, die mit 
der Entsendung eines deutschen Kriegsschiffes nach Agadir in Zusammen- 
hang stehen. Ich kenne die Weisheit und den Patriotismus, der die Kammer 
beseelt, und an diese Eigenschaften appelliere ich in dieser Stunde. Pour- 
parlers haben begonnen, eine Besprechung ist im Gange und ich bitte darum 
zu gestatten, daß diese Besprechung in Ruhe und in der hohen und würdigen 
Form vor sich gehe, die Großmächten, die sich miteinander unterhalten, 
geziemen. (Lebhafter Beifall auf allen Bänken mit Ausnahme der äußersten 
Linken.) Wenn die Stunde gekommen sein wird, werden wir, seien Sie
	        
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