Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

Etankreih. (September 19., 20.) 433 
Ein ähnlicher Austausch in kleinerem Maßstabe hat bereits durch 
das Abkommen vom 11. März 1908 stattgefunden. Damals gab Deutsch- 
land die Spitze des Entenschnabels am Schari her und erhielt dafür ein 
größeres Stück am rechten Sangha-Ufer. 
19. September. Radikale Zeitungsstimmen über die Kompen- 
sationen an Deutschland. 
Der „Radical“ schreibt: Es ist, um es klar herauszusagen, ein 
wahres Protektorat, das man uns für Marokko vorschlägt, und die Tunisi- 
fizierung des ungeheuren Scherifengebietes mit all seinen Reichtümern. 
Das beanspruchte Gebiet dagegen besteht aus einem Kolonialbruchteile; 
diese Kolonie ist bisher für das Mutterland nur ein geographischer Begriff 
geblieben. Wir möchten wirklich einmal erfahren, wie viele Franzosen im 
Kongo-Hinterlande sich festgesetzt haben, und vor allem, wie viele unter 
diesen wirkliche Kolonisten sind. Der wahrhaft französische Teil des Kongo- 
gebietes, die Küste mit Libreville und bis Brazzaville, alle jene Länder, in 
die wirklich etwas von uns hineingesteckt wurde, verbleiben uns bei dem 
Handel. Darüber hinaus ist alles Einöde, alles Lehen großer Konzessions- 
Gesellschaften, die heute über den Gedanken Tränen vergießen, nicht die 
gehoffte große Entschädigung einzukassieren, und die „patriotische“ Preß- 
kampagnen veranlassen. Wir werden uns nicht dazu verstehen, die Geld- 
schrankwächter dieser Herren zu bleiben. Wir wissen nur zu gut, daß für 
Frankreich nichts in diesen Schränken ist, ganz im Gegenteil. Tatsächlich 
liegt die Sache so, daß unser Land im Kongo nie etwas anderes als 
Skandale eingeheimst hat. Die Inbetriebsetzung der ungeheuren Kolonie 
würde uns Milliarden kosten. 
Dagegen schreibt die sozialistisch-radikale „Lanterne“: Daß die 
Deutschen es für ganz natürlich halten, von Frankreich durch eine Gebiets- 
abtretung für die völlige Handlungsfreiheit in Marokko entschädigt zu 
werden, ist nicht gerade erstaunlich, da sie für nichts etwas erhalten, also 
ein glänzendes Geschäft machen. Aber bei uns ist die öffentliche Meinung 
für eine solche Anschauung noch nicht gewonnen. Die Handlungsfreiheit 
in Marokko besteht für Frankreich in dem Rechte, seine Mittel an Leuten 
und Geld zu verschwenden, um allen Mächten zu gestatten, dort Geschäfte 
zu treiben. Sie ist für uns sicher eine Bürde mit sehr zweifelhaften 
Gewinnaussichten. Und viele Franzosen fragen sich, ob dieses seltsame 
Geschenk eine Belohnung verdient. Jedenfalls ist der Preis, den Deutsch- 
land sich dafür zahlen lassen will, ungeheuerlich. Der schönste Teil des 
französischen Kongo, der mit so schweren Opfern und so geduldigen 
Bemühungen erworben wurde, soll an Deutschland abgetreten werden, das 
uns seinerseits außer einem ganz kleinen Stückchen Land nur seine platonischen 
Ermutigungen im Hinblicke auf die Schwierigkeiten anbietet, die uns in 
Marokko erwarten. 
20. September. Angebliche Verzichte und Forderungen 
Deutschlands. 
Dem „Matin“ zufolge hat Deutschland darauf verzichtet, einen 
Anteil von 30 v. H. an allen öffentlichen Arbeiten zu fordern, die franzö- 
sischen Unternehmern übertragen werden, und andererseits Frankreich an 
den einem deutschen Unternehmer zugesprochenen Arbeiten denselben Anteil 
von 30 v. H. einzuräumen. An der Forderung, daß die Prüfung der 
Angebote von Unternehmern für ausgeschriebene öffentliche Arbeiten von 
einem gemischten Ausschuß erfolgen soll, in dem auch Deutschland vertreten 
Europäischer Geschichtskalender. LII. 28
	        
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