Fr####reich. (November 4.) 439
4. November. Preßstimmen über das Marokko= und Kongo-
Abkommen.
Jaures in der „Liberté“: „Das Beste an dem Vertrag ist, daß
er wenigstens für einige Zeit der französisch-deutschen Spannung einen
Dämpfer aufsetzt. Einen eigentlichen Wert wird er allerdings bloß erlangen,
wenn er das Vorspiel einer dauernden und beständigen Politik der Ver-
söhnung, der Eintracht und der Pechüchteit zwischen Frankreich und Deutsch-
land ist. Die Bestimmung, daß etwaige Schwierigkeiten, die sich bei der
Auslegung des Vertrages ergeben könnten, pflichtmäßig an das Haager
Schiedsgericht verwiesen werden sollen, ist in unseren Augen besonders
wertvoll.“ — Aehnlich schreibt die „Lanterne“: „Es ist für die Ruhe
Europas ein schätzbares Ergebnis, daß die Ansprüche Deutschlands ein für
allemal befriedigt worden sind.“ — Der besonders regierungsfreundliche
„Radical“ benutzt den Abschluß des Vertrages als Anlaß schmetternder
Lobesfanfaren für Herrn Caillaux, dessen vaterländische Festigkeit und große
Zähigkeit es der Regierung ermöglicht habe, viel mehr zu erlangen, als
Deutschland anfangs angeboten habe. — „Matin“ urteilt: „Der Vertrag
entspricht den Interessen Frankreichs, denn er befreit die französische Politik
von der zwangsvorstellungsähnlichen marokkanischen Frage, die seit sieben Jahren
offen war, und läßt dem Lande in Europa, im Morgenlande und im fernen
Asien freie Hand. Dieser Vorteil ist besonders wertvoll zur Stunde, wo
die Besetzung von Tripolis die Gefahr von Verwickelungen im Morgen-
lande nahe rückt und wo die chinesische Umwälzung einen Widerhall in
Indochina hervorrufen kann. Ueberdies war es von ganz besonderem Werte
für Frankreich, an der Westgrenze Algeriens weder ein internationalisiertes,
noch ein solches Marokko zu haben, wo eine andere Macht, Spanien, sich
festsetzt. Es ist aber nicht zweifelhaft, daß das Scheitern der Verhandlungen
Deutschland ermutigt hätte, in Agadir auszuschiffen und sich des Sus zu
bemächtigen. Was wäre in diesem Falle geschehen? Ob es nun der Krieg
oder eine Konferenz gewesen wäre, jedenfalls wären gefährliche Verwicke-
lungen möglich gewesen. In der Ausführung des Vertrages wird Frank-
reich loyal die größte Versöhnlichkeit an den Tag legen und jeden neuen
Streit vermeiden. Es ist nicht zweifelhaft, daß Deutschland aus demselben
Gefühl heraus handeln und ebenso wie Frankreich erkennen wird, welches
Interesse es daran hat, in seinen Beziehungen zu Deutschland Marokko
keinerlei Rolle mehr spielen zu lassen.“ — Die rückschrittliche Presse
benutzt die Gelegenheit, um die Republik und die Regierung heftig anzu-
greifen. — Die „Autorité“ ruft, aus dem Vertrag ergebe sich zwar für
den Augenblick der Friede, er könne aber auch den Krieg herbeiführen,
sobald Deutschland dies wolle, und jedenfalls sei Frankreichs Ansehen
durch ihn noch mehr gedemütigt. — „Eclair“ erklärt: „Wir haben
die Haut von Marokko bekommen, Deutschland aber behält sich das
beste Stück des Fleisches vor, und das übrige gehört Europa. In Tunesien
sind wir zu Hause, in Marokko sind wir bei Fremden.“ — Das „Echo
de Paris“ fällt über Deutschland her und sagt: „Was sollen wir von
Deutschlands Politik sagen? Sie läßt sich in diese Worte zusammen-
fassen: Brutalität, Treulosigkeit und Ungeschicklichkeit.“ — Auch der
ehemalige Minister des Auswärtigen, Herr Hanotaux, ist un-
zufrieden. „Ich bleibe dabei“, schreibt er, „daß die Ergebnisse der zu-
gleich langen und nachlässigen Verhandlungen für Deutschland ebenso
bedauerlich sind wie für Frankreich. Alles ist daran falsch: die Richtung,
die Genugtuung, die Beschwichtigung. Alle Welt ist unzufrieden und alle
Welt bleibt unruhig. Frankreich, Deutschland, Spanien, die Türkei, Italien,