Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

454 Eraunkrei. (Dezember 29., 30.) 
wir möchten dafür etwas erhalten.“ Cambon: „Was verlangen Sie?“ 
Kiderlen: „Kompensationen.“ Cambon: „Wo?“ Kiderlen: „Ich weiß nicht, 
suchen Sie!“ Cambon: „Es ist an Ihnen zu suchen.“ Kiderlen: „Sie gehen 
ja nach Paris. Bringen Sie etwas Brauchbares mit.“ — Die Frage, wer 
zuerst den Namen Kongo ausgesprochen hat, konnte nicht aufgeklärt werden, 
es scheint indes, daß Freiherr v. Schoen der erste war, der den Namen in 
die diplomatische Unterhaltung warf. Am 9. Juli hatte er in einer Unter- 
redung mit Herrn de Selves die Bemerkung hingeworfen, daß die von 
Deutschland beanspruchte Entschädigung sich vielleicht im Kongobecken finden 
lassen würde. 
2. Der „Petit Parisien" über eine aufsehenerregende Er- 
klärung des früheren Ministerpräsidenten Monis: „In dem Augen- 
blick, als von den bekannten Kissinger Unterredungen zwischen Kiderlen und 
Cambon die Rede war, erhob sich der ehemalige Ministerpräsident Monis 
und sagte: Ich war zu jener Zeit Ministerpräsident. Nun denn, ich er- 
kläre hiermit, daß ich nicht das geringste von dem erfahren habe, was in 
Kissingen verhandelt wurde. Der Ministerrat hat sich niemals damit be- 
fassen können, und ich versichere, daß selbst der Präsident der Republik 
seinerseits nichts davon erfahren hat.“ 
3. Der ehemalige Minister des Aeußern, Pichon, hält es für 
nötig, den Blättern eine Erklärung zugehen zu lassen, wonach das deutsch- 
französische Abkommen vom Februar 1909 sich in keiner Weise auf die all- 
gemeine Politik Frankreichs und Deutschlands außerhalb Afrikas bezog, 
sondern nur Deutschlands politischen Verzicht auf Marokko und die Aner- 
kennung des Vorwiegens der wirtschaftlichen Interessen Frankreichs über 
die Deutschlands in Marokko betraf. Die Note soll feststellen, daß, solange 
Herr Pichon die Verhandlungen inspirierte, weder von einer Gebietsabtretung 
Frankreichs an Deutschland, noch von einer freundlicheren Gestaltung der 
allgemeinen Beziehungen zwischen den beiden Ländern die Rede war. 
29. Dezember. (Kammer.) Der Streit um die Kissinger 
Gespräche. 
Abg. de Monzie begründet einen Beschlußantrag, durch den die 
Regierung aufgefordert wurde, die Erklärungen, die sie in der Kammer 
gemacht hatte, in Einklang zu bringen mit den Mitteilungen, die sie der 
anderen Kammer über die Kissinger Besprechungen gemacht zu haben scheine. 
Ministerpräsident Caillaux weigerte sich, den Beschlußantrag anzunehmen. 
Gleich nach der Ratifikation des Abkommens durch das Parlament werde 
die Regierung der Kammer für die Diskussion von Interpellationen zur 
Verfügung stehen. Caillaux verlangte die Annahme einer einfachen Tages- 
ordnung, die auch mit 286 gegen 193 Stimmen beschlossen wurde. Die 
Sitzung wurde darauf aufgehoben. 
30. Dezember. (Senat.) Ein Brief Cruppis an die Minister- 
präsidenten Caillaux und Monis über seine Besprechungen mit 
Cambon zur Zeit der Kissinger Verhandlungen. 
In der Kommissionssitzung verlas der Premierminister folgendes 
Schreiben des ehemaligen Ministers des Auswärtigen Cruppi: „In meinen 
mit unserem Botschafter in Berlin im Juni gepflogenen Unterhaltungen 
habe ich nie eine Frage berührt, die nicht im Ministerrat geprüft worden 
wäre, und keine meiner Unterhaltungen mit Jules Cambon hat sich in 
irgendeinem Augenblick auch nur andeutungsweise auf die Möglichkeit von 
territorialen Kompensationen oder eines Austausches am Kongo oder anders-
	        
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