Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

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so fielen in die Zeit der Hinausschiebung der Debatte noch einige 
den Reichstag und die öffentliche Meinung besonders stark erregende 
Momente. Am 27. und 28. Oktober machte die Regierung den 
Rechtsstandpunkt geltend, daß nur die Bestimmungen über Marokko 
der Zustimmung des Reichstages bedürften, daß aber der Abschluß 
des Kongovertrages dem Reichstag „nur zur Kenntnisnahme mit- 
geteilt“ zu werden brauche (S. 176). Gegenüber anderen An- 
schauungen im Seniorenkonvent des Reichstages brauchte die „Nord- 
deutsche Allgemeine Zeitung“ Wendungen von „Schmälerung der 
verfassungsmäßigen Rechte des Kaisers“. Diesen offiziösen Ein- 
dämmungsversuchen gegenüber prägte der Führer der Konservativen 
auf dem schlesischen Vertretertag am 29. Oktober das Wort von 
„der grandiosen Unverschämtheit“, die sich englische Minister gegen 
Deutschland erlaubt hätten. Das Wort schlug ein und klang bei 
den Verhandlungen elf Tage später wie ein unvergeßliches Leit- 
motiv mit. Verstärkt wurde der Eindruck, daß Deutschland in 
seiner Weltpolitik eine empfindliche Schlappe erhalten habe, noch 
durch den erst dementierten, dann aber am Tage vor der Unter- 
zeichnung der beiden Abkommen doch erfolgenden Rücktritt des Staats- 
sekretärs des Kolonialamts v. Lindequist und des Geh. Regierungs- 
rats v. Danckelmann. In diesem demonstrativen Proteste gegen 
die eben erst bekannt werdenden Verträge erhielt die Opposition 
die denkbar stärkste Rechtfertigung; die Absage einer „nachgeordneten 
Behörde“ (S. 178) von der Geschäftsführung des Reichskanzlers in 
einem der einheitlichen Vertretung des Regierungswerks besonders 
bedürftigen Moment wurde sogar in weiten Kreisen als Heldentat 
gefeiert (S. 182 f.). Am 4. November, dem Tage der Unterzeichnung, 
verstiegen sich deutsche Zeitungen zu Ausdrücken wie „Schmach von 
Agadir“, „schlimmer als Olmütz und Jena“ (S. 185). Gegen eine 
solche Entrüstung konnte die Denkschrift des Kolonialamts (S. 189) 
nicht aufkommen. In einem Moment sehr gedrückter populärer 
Stimmung leitete der Reichskanzler am 9. November die Marokko- 
debatte im Reichstage ein. Seine Behauptung, daß Deutschland 
durchgesetzt habe, was es von Anfang an wollte und daß die Reichs- 
regierung auch nicht gegenüber der Lloyd Georgeschen Rede zurück- 
gewichen sei (S. 196 f.), wirkte zunächst nicht überzeugend. Um so
	        
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