Uebersicht über die politische Entwichelnns des Jahres 1911. 633
(S. 248—252). Immer ausführlicher wurden die veröffentlichten
Protokollauszüge der Budgetkommission über die Marokko= und
Kongoverträge; am 23. November wurden auch die Namen der
einzelnen Redner bekanntgegeben. Die Wirkung dieser Bekannt-
machungen war ein völliger Umschlag der Stimmung. Man über-
zeugte sich, daß Deutschland durchaus als diplomatischer Sieger
aus der Krifis hervorgegangen war. Außerdem lockten diese Publi-
kationen auch entsprechende Mitteilungen der englischen und franzö-
sischen Regierungen heraus (S. 602—8). So fiel auf die ganze Krifis
ein helleres Licht, als ohne das deutsche Beispiel jetzt schon hätte
erhofft werden können. Ergänzungen dazu gab der Reichskanzler in
der Plenarsitzung vom 5. Dezember (S. 270—74). Das Verhältnis
Englands zu Deutschland wurde dadurch genügend geklärt, um die
tiefe Verstimmung des deutschen Volkes gegen die englische Politik
als Frucht des Sommers 1911 verständlich zu machen.
Außer der Verfassung für Elsaß-Lothringen war auch das
große Werk der Reichsversicherungsordnung zustande gekommen, als
der Reichstag am 31. Mai bis zum 10. Oktober vertagt wurde.
Aber auch die Herbsttagung des „sterbenden Reichstags“, die sich
bis zum 5. Dezember hinzog, war trotz der starken Belastung mit der
Marokkodebatte noch sehr reich an legislatorischen Ergebnissen. Das
Privatbeamtenversicherungsgesetz, die Novelle zum Schutzgebiets-
gesetz, das Gesetz über die Ausgabe kleiner Aktien im Kiautschou-
Pachtgebiet, das Schiffahrtsabgabengesetz und der Handelsvertrag
mit Japan waren allerdings außerhalb des Reichstages lebhafter
umstritten als in den Parlamentsdebatten, für die jetzt die hohe
Politik in den Vordergrund getreten war. Die große Reform der
Strafprozeßordnung wurde vertagt, um noch einmal einer Kom-
mission von Sachverständigen Zeit zu lassen, die einzelnen Para-
graphen sorgfältig durchzuberaten und zu verbessern. Sehr erfreulich
waren die über Erwarten günstigen Ergebnisse der Finanzverwaltung
und der Ausfall der Ernte trotz der langen Hitze des Sommers,
die allerdings für Futtergewächse, Kartoffeln und Rüben sehr nach-
teilig war. Den Teuerungsinterpellationen gegenüber betonte die
Reichsregierung stärker als die einiger Einzelstaaten die Notwendig-