Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

638 Nebersicht iber die volitische Eutwichelung des Jahrers 1911. 
konzentration vom 28. August und die angeblichen Rüstungen vom 
16. September (S. 365 und 367) auch ohne die spätere bengalische 
Beleuchtung durch die Enthüllungen des Hauptmanns Faber richtig 
zu würdigen. 
Der fehlgeschlagene „Bluff“, wie man die in der Rede Lloyd 
Georges an die Offentlichkeit getretene politische Operation Englands. 
während der Marokkokrisis benannte, hatte aber auch Nachwirkungen 
auf die inneren Angelegenheiten und die öffentliche Meinung Groß- 
britanniens. Der Stellenwechsel im Kabinett am 16. Oktober, die 
Reden des Admirals Lord Beresford am 22. November und 14. De- 
zember, die auch von Parlamentariern eifrig betriebenen Freund- 
schaftsbezeigungen gegen Deutschland, die Verurteilung der geheimen 
Verträge waren unverkennbare Symptome der Unzufriedenheit mit 
dem liberalen Regiment, besonders in liberalen Kreisen. Man sehnte 
sich nach einer „reinen Schiefertafel“ mit Deutschland (siehe Sir 
Henry Normans Rede S. 396 f.), kritifierte die Heimlichkeit, mit der 
die Regierung vorgegangen war, und wünschte, daß die Ereignisse 
des Sommers eine Episode ohne nachhaltige Bedeutung blieben. In 
dem energischeren Vorgehen Rußlands in Persien glaubte man die 
Folge des unnützen Engagements für Frankreich zu erkennen. Jeden- 
falls fehlte der englischen auswärtigen Politik im Jahre 1911 ein 
Erfolg, wie ihn Frankreich, Deutschland, Spanien, Rußland und 
Italien zu verzeichnen hatten. 
Dazu kamen die umfangreichen Streiks, besonders der Trans- 
portarbeiter und Eisenbahner. Auch die starke Auswanderung fängt 
an zu beunruhigen, zumal der Geburtenüberschuß bereits nachgelassen 
hat. Die Reichskonferenz hatte nicht den glänzenden Erfolg, den 
man im Krönungsjahre erhofft hatte. Die Unterhandlungen Kanadas 
mit den Vereinigten Staaten über einen Reziprozitätsvertrag wirkten, 
ehe der Ausfall der Wahlen im September sie beendete, entmutigend 
auf die Freunde einer imperialen Politik. 
Dagegen waren erfreuliche Zeichen des Fortschritts der Ausbau 
der sozialen Gesetzgebung, die günstige Entwickelung der Staats- 
finanzen und die Reorganisation der Verwaltung Indiens, die mit 
der Verlegung der Hauptstadt von Calcutta nach Delhi bei Ge- 
legenheit der Krönungsreise nach Indien verkündet wurde.
	        
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