Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

640 Uebersicht über die pelitische Eutwichelnns des Jahres 1911. 
tember, daß „das Kriegsmaterial für alle Eventualitäten bereit ist" 
(S. 432). Aber schon am 25. September erfolgte die Vernichtung des 
Panzerschiffes „Liberté“, die zur Folge hatte, daß alles ältere Pulver 
von den Schiffen entfernt wurde. Auch die Einführung der politischen 
überwachung der Offiziere (S. 444), die große Zahl der Fahnen- 
flüchtigen (S.401 f.), die Gewerkschaft der altgedienten Offiziere (S.404). 
die fortgehenden antimilitaristischen Kundgebungen (S. 426. 441) 
und die Unmöglichkeit, die Zahl der Einstellungen noch weiter zu 
steigern (S. 406, 419, 442), beweisen, daß der Republik militärische 
Sorgen nicht erspart blieben. Vielleicht ist ihnen die Annahme der 
deutschen Forderungen durch den Ministerrat am 12. September und 
der weitere schnelle Fortgang der Verhandlungen in Berlin zu ver- 
danken. Von den Hoffnungen auf die „schwarzen Truppen“ (S. 253, 254, 
411, 442) ist wohl im Ernst keine Anderung der Lage zu erwarten. 
An neuen großen Reformen im Inneren kam nichts zustande. 
Doch trat am 3. Juli das Altersversorgungsgesetz für die Arbeiter in 
Kraft, und der Winzerstreit wurde durch ein Kompromiß erledigt. 
Die Kammer genehmigte auch eine Anderung des Wahlverfahrens 
(S. 423, 425). An Skandalen war neben der Verwaltung des Aus- 
wärtigen Amts auch die Kolonialverwaltung beteiligt. Aus den 
Kammerdebatten über die Marokko= und Kongoverhandlungen am 
Schluß des Jahres ergab sich die Notwendigkeit eines Wechsels der 
Regierung für den Anfang von 1912. 
  
Italien beging die Jubiläumserinnerung seiner Gründung 
mit Ausstellungen in seinen Hauptstädten Turin, Florenz und Rom. 
Es konnte in glänzenden Zahlenvergleichen den riesigen wirtschaft- 
lichen Fortschritt der letzten fünfzig Jahre dokumentieren (S. 459). 
Die Staatsfinanzen weisen seit Jahren erhebliche überschüsse auf, so 
daß sich ein bedeutender Staatsschatz ansammeln konnte (S. 467 f.). 
Aber die italienische Politik wurde seit dem energischen Vor- 
gehen Frankreichs in Marokko von dem Wunsche beherrscht, die 
Gelegenheit nicht zu verpassen, die in dem Abkommen von 1903 in 
Aussicht gestellte Erwerbung von Tripolis durchzuführen. Als Vor- 
bereitung zu entschlossener Aktion ist auch die übernahme der Re- 
gierung durch den stärksten Politiker, Sr. Giolitti, am 27. März zu
	        
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