4 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 14. 15.)
Die Anzahl der Wahlberechtigten betrug (zum Teil geschätzt)
14236722 (1907: 13350698).
Gültige Stimmen wurden abgegeben: 12 188 337 (1907: 11262775).
Demnach Wahlbeteiligung 85,6 Prozent (gegenüber 84,7 Prozent
bei der Wahl 1907).
Es entfielen also auf die Schwarzblauen Blockparteien 4664180
Stimmen, auf ihre Gegner 7523857 Stimmen.
14. Januar. Stichwahlparole der Regierung.
Sie richtet sich gegen die Sozialdemokratie. Der Schlußpassus lautet:
„Nicht Mißmut über diesen oder jenen mit Recht oder Unrecht als Uebel
empfundenen Zustand in Reich und Staat, nicht Rücksicht auf Parteivor-
teile durch Paktieren mit der Sozialdemokratie lenke den Schritt zur Stich-
wahl. Nicht auf vergangenen Hader der Parteien — auf die Zukunft der
Nalion richte sich der Blid!"
15. Januar (Preußen.) Eröffnung der Landtagssession.
Aus der Thronrede, die der Ministerpräsident verliest: Auf dem
Gebiete der direkten Besteuerung wird Ihnen in Erfüllung der gesetzlich
festgelegten Verpflichtung der Entwurf zu einer Einkommens- und Ergänzungs-
steuernovelle vorgelegt werden. Neben einer Reihe von Bestimmungen, die
eine noch regelmäßigere Erfassung des steuerbaren Einkommens und Ver-
mögens gewährleisten sollen, ist eine Neugestaltung der Steuertarife in der
Weise vorgesehen, daß die gegenwärtig zur Erhebung gelangenden Steuer-
zuschläge in die Tarife eingeglliedert, Mehreinnahmen für die Staatekasse
gegenüber dem jetzigen Steueraufkommen aber nicht herbeigeführt werden. —
Die Dürre des letzten Sommers war die Ursache ernster Besorgnisse. Zum
Glück haben lich die anfänglichen Befürchtungen in vieler Hinsicht als über-
trieben erwiesen. Immerhin bedeuten die tatsächlichen Ernteausfälle für
die davon betroffenen Landwirte einen schweren Verlust, und ebenso haben
sich durch die demnächst eingetretenen Preissteigerungen bellangenswerte
Mißstände für die Verbraucher, namentlich in den größeren Städten und
Industriezentren ergeben. Wenn auch tieigreifenden Wirkungen elementarer
Ereignisse gegenüber die Moglichkeit der Staateshilfe nur begrenzt ist, so
in doch das, was sie in diesem Falle zur Linderung der Schäden zu leisten
vermochte, durch die Ihnen bekannten Maßnahmen, insbesondere durch
weitgehende Ermäßigungen der Eisenbahngütertarife geschehen. — Ihren
Beratungen wird der Entwurf einee Wassergebietes umterbreitet werden,
der das gesamie Wasserrecht für das Staatsgebiet einheitlich und nach den
gegenwärtigen Anforderungen einer geordneten Wasserwirtschaft regelt. Er
soll unter möglichster Berücksichtigung des in den einzelnen Landesteilen
geltenden. den besonderen örtlichen Verhältnissen angepassen Rechtes einen
billigen Ausgleich der mannigfachen in Betracht kommenden Interessen
schaffen. Auch wird Ihnen zur Neuregelung des sich vielfach mit dem
Wasserrechte berührenden Fischereirechts im Laufe der Session ein besonderer
Gesetzenwurf zugehen. — Die Erhaltung und Stärkung des Deutschtums
in den Landesteilen mit gemischtsprachiger Bevölkerung sind dauernd der
Gegenstand besonderer Fürsorge. In einer neuen Gesetzesvorlage werden
Geldmittel zur Ausdehnung der in den Provinzen Westpreußen und Posen
bewährten Festigung und Entschuldung des ländlichen Grundbesitzes auf
einige andere Landesteile von Ihnen erbeten werden. Weitere Maßnahmen,
die vornehmlich die innere Koloniiarien in erhöhtem Maße zu fördern
beltimnt sind, befinden sich in Vorbereitung. — Als ein lästiger Schaden
hat sich namentlich in größeren Städten das immer mehr und mehr um
sich greifende Ausbeuten der Armenpflege durch Arbeitsicheue und säunmige