Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtundzwanzigster Jahrgang. 1912. (53)

176 Das Denisqt Reiq und seiur einzelnon Glieder. (Mai 18.) 
es sich handelt, wenn von Preußens Schande gesprochen wird. Wenn aber 
Herr v. Beihmann Hollweg diese politische Heuchelei der Konservativen mit- 
macht, was beweis das anders, als daß er sich nur als konservativer Hand- 
langer fühlt. — 2 Die „Morgenpa schreibt: Unverzeihlich war der 
Fehler, den Herr Scheidemonn begangen hat. Er hat das Gefechtsfeld 
verschoben. Er hat dem Reichskanzler nicht bloß einen theatralischen Exodus 
ermöglicht; Scheidemann war Beihmanns Neuer. Das beleidigte Preußen 
drängte die Straßburger Drohungen in den Hintergrund. Aus dem Ver- 
teidiger, dessen Chancen herzlich schlecht standen, wurde der Staatsanwalt, 
aus der Dejensive ging der Reichskanzler zur Offensive über. Die Rede- 
wendungen vom Zuchthaus und von Siieien haben das Jena des Kanziers 
dan verwandelt. — 3. Die „Vossische Seitung. mibiligt 
die Wusteungen Scheidemanns über Preußen. Nur meint sie, 
Reichskanzler und die Mitglieder des Bundesrats zu nervös 394 F 
sonst hätten sie leinen Grund gehabt, den Saal zu verlassen. Der Prä- 
sident habe bei dem Lärmen Im Saale die Worie Scheidemanns nicht 
richtig tare Voer habe aber nachträglich den Redner zur Ordnung 
rufen, und im übrigen denle der Präsident Kaempf über die Aeußerungen 
Eeeran, keinen Deut anders als der Ranzler. — 4. „Berliner 
blatt“: Wir bilden uns ein, im Kompfe gegen das System, wonach 
475 Kurzen, * wird, unseren Mann zu siellen. Aber wir werden 
r geschmacklos halten, unserer tieibegründelen Abneigung gegen 
Sflen durch t hun der preußischen Staatsangehörigseit Lust 2 
machen. Wahrscheinlich hat Herr Scheidemann Preußen gar nicht be- 
schimpfen, iondern nur sagen wollen, die Drohung des Noisers mit der 
Einverleibung in Preuen lasse die Annahme zu, 9 eine solche Ein- 
verleibung die schwerste aller Strafen lei. Aber wie Herr Scheidemann 
das sage, kühl und a#u#n berechnet, bar es einen “— Rlang. — 5.,Täg- 
liche ndschau“: Scheidemonn hat unter gang erstaunlicher Verienmung 
kche Rn piuchologischer Wirkungen auch Leute von sich weggescheucht, 
die sonst Em3 nicht übel Lust baneen, in seiner Nähe zu Leen. 
enoise Scheidemann, das sei ihm mit Dank bestäligt, hat geĩtern im 
Reichstag zur Ureindera einer vielleicht peinlichen Kaijerdebaite jeden- 
salls das Beste getan. Er hat dem Reichskanzler die Argumente für die 
Vertretung der Straßburger Kaiserworte geradezu in den Mund gelegt, 
und dieser hat die Schwäche eines blindwütig anrennenden Gegners sehr 
geichicht ausgenutzt. — 6. Dagegen ist die „Post“ mit der Abwehr des 
Angriffes sehr unzufrieden: Ein solcher Kanzler, der jeinen Noiser verließ, 
wann hat die Well dos Schauipiel geschen? Niemals war ein * von 
Preusien verlassener, als gestern Wilhelm Il. es war. Die „Post“ findet 
nämlich, Scheidemann habe den Lonig von Preußen direkt um indirekt 
des Borkbruchs geziehen. Sie scheim au glauben, daß die Aeußerungen 
Scheidemanns dch aui den jebigen König bezogen. hätten, während sie 
Friedrich Wilh IV. galten, und vermißt nun bei Herrn v. Bethmann 
Hollweg die unnchn Junn Proteft in stammender. Rede. — 7. Gon 
anderer Meinung ist die „Hreuszeitung“: Der Ansturm gegen den Kaiser 
ist gestern im Beicher tage vom Reichskanzler cnergiich und gründlich ab- 
seichianen worde 
Gegen e Auffassung der „Post“ wolemiifern dit n Allgem. 
geitung“ in sehr scharjen Wendungen. Am riugt die „Post“ 
urn eine Zuichrift aus bortomentarischen Lese hit Auffassung, daß 
er Vekk Reichskanzler in der Sivung vom 17. Mai den König von Preußen 
in die Scheidemannschen Angriffe nicht genügend verteidigt habe, ent- 
Koehnr nicht den Anschauungen aller Minglieder der Reichspartei.
	        
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