Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 9.) 23
Dr. Spahn nimmt die Wahl an und übernimmt zugleich das Prä-
sidium. Er erklärt: Ich spreche unseren Alterspräsidenten (es war der
Dichter Albert Traeger) den Dank und auch die Freude des Hauses darüber
aus, daß er diese nicht ganz mühelose Geschäftsverwaltung mit solchem
Humor und mit solcher Ausdauer geführt hat. (Lebhafter Beifall.) Indem ich
mich in den Dienst des Hauses stelle, darf ich an jeden einzelnen von Ihnen
die Bitte richten, daß Sie mich in dem Bestreben unterstützen, die Würde
und das Ansehen dieses Hauses zu wahren und seine Geschäfte zu fördern.
Beifall r. u. im 8.)
Bei der Wahl d des ersten Vizepräsidenten erhielten: Scheide
mann (Sd.) 188 Stimmen, Dietrich (K.) 174 Stimmen, Paasche (Nl.)
3 Seimmen. Ungültig waren 21 Stimmenn. Gewählt: Scheidemann (Sd.).
Der Abg. Scheidemann nimmt das Amt an.
Bei der Wahl zum zweiten Vizepräsidenten erhielten: Dr. Paasche
(Nl.) 274 Stimmen, Kaempf (Forischr. Bp.) 12 Stimmen Dietrich (K.)
2 Stimme, v. Hendebrand (k) und Stadthagen je eine Stimme, Ungültig
waren 95 Stimmen. Die Polen stimmten für Kaempf, um nicht einen
Nationalliberalen zu wähen. Gewählt: Dr. Paasche (Nl.), welcher annimmt.
9. Februor. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Be-
sprechung des Notu proprio des Papstes betreffend das Gerichits-
verfahren gegen Kleriker.
Zum Etat der auswärtigen Angelegenheiten liegt ein national-
liberaler Antrag (Dr. v. Campe, Dr. Friedberg u.a.) vor: Die Königliche
Staatsregierung aufzufordern, dem Abgeordnetenhaus moglichst bald
authentische Mitteilungen über die mit der Kurie über das neueste Motu proprio
betreffend das Gerichtsverfahren gegen Kleriker gepflogenen Verhandlungen zu
machen, insbesondere den darauf bezüglichen amtlichen Schriftwechsel vorzulegen.
Nach eingehender Begründung durch den Abg. Dr. v. Campe antwortet
Minister des Auswärtigen v. Kiderlen-Wächler: Ueber den ersten Teil
des Antrages, authentische Mitteilungen über die Verhandlungen mit der
Kurie in Sachen des Motu proprio zu machen, will ich mich gern äußern.
Das Motu proprio ist am 9. Oktober vorigen Jahres bekannt gegeben worden
und wurde om 12. November veröffentlicht. In der Presse hat sich daran
sofort eine große Polemik geknüpft, in der gerade von katholischer Seite,
und zwar von wissenschaftlicher katholischer Seite aus bestritten wurde,
daß das Motu proprio in Deutschland Gültigkeit habe. Natürlich
interessierte uns daran nur die Frage, welchen Einiluß hat es in Deurschland,
ist es dort gültig oder nicht? Unter den Kundgebungen, die dafür ein-
traten, daß es Deutschland nicht gũltig sei, nahm eine hervorragende
Stelle ein Artikel der „Köln. Volkszitg.“ vom 27. November ein, auf den
iväter in der Haupsache immer Bezug genommen wurde. Dieser Artikel
war geschrieben vom Prälaten Heiner und hatte eine besondere Bedeutung.
einmal wegen der Persönlichkeit des Schreibers, der eine hohe kirchliche Würde
bekleidet. Sein Gutachten hatte aber außterdem noch eine besondere Bedeutung
und verdiente besondere Beachtung, weil Monsignore Heiner ausdrücklich sagte:
Ich schreibe dies, ohne befürchten zu müssen. von irgendeiner Seite desavoniert
zu werden. Das wies aus einen offiziellen Ursprung des Artilels oder
jedenfalls auf eine offizielle Zustimmung zu ihm hin.
Das Ministerium des Auswärtigen hat daher im Einverständnie mit
den anderen beteiligten Ressorts den Gesandten beim Vatikan angewiesen,
auf diesen Artikel hinzuweisen und die Frage zu stellen: sind keine
Ausführungen richtig und erkennt Ihr an — das war die auedrückliche Frage —
daß dieses Motu proprio derogiert sei und auf Demichland keine Anwendung