Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Großbritannien. (November 27. 30.) 623 
sitzen wie vor dem Kriege. Es sei aller Grund vorhanden, der Macht der 
Flotte zu vertrauen, selbst wenn England allein stände, aber es habe oben- 
drein mächtige Verbündete zur See, mit denen es in besten Beziehungen stehe. 
27. November. (Oberhaus.) Anfragen wegen der Behand- 
lung der Deutschen. Das Haus vertagt sich bis zum 6. Januar 1915 
Lord St. Davids fragt, ob es wahr sei, daß die Deutschen Frauen 
und Kinder in Konzentrationslager brächten, weil sie glaubten, daß die 
Deutschen in England ähnlich behandelt würden. Wenn dies der Fall sei, 
sollte die Regierung klar machen, daß die Deutschen in England keines- 
wegs unfreundlich behandelt würden, die Regierung sollte allen deutschen 
Frauen und Kindern sowie Männern nicht dienstfähigen Alters öffent- 
lich anbieten, sie kostenlos nach Deutschland zurückzuschicken. Lordkanzler 
Haldane erklärt, für die Rücksendung der Deutschen ließe sich viel sagen. 
Er wisse nicht, ob die Deutschen britische Frauen und Kinder in Kon- 
zentrationslager brächten. Er habe nur englische Zeitungsberichte gelesen. 
Lord Crewe erklärt, die Anregung betr. die Rücksendung der deutschen 
Frauen, Kinder und Männer nicht dienstpflichtigen Alters würde erwogen, 
aber er zweifle, ob diejenigen davon Gebrauch machen würden, die man 
am liebsten los werden möchte. 
27. November. Die englische Zensur. 
Die „Daily Mail“ schreibt: Die Regierung treibt einem scharfen 
und beunruhigenden Zusammenstoß mit einem der elementaren Rechte der 
britischen Untertanen entgegen, nämlich dem Rechte der Kritik. Die Re- 
gierung versucht jetzt, die Zensur der Nachrichten zu einer Zensur der 
Meinungen zu erweitern. Wir glauben, daß es von vitalem nationalen 
Interesse ist, dem Versuche zu widerstehen und ihn unmöglich zu machen. 
Die Gesetzvorlage für die Konsolidierung der Verteidigung des Reiches 
enthält eine Klausel, die der Regierung ermöglicht, „die Verbreitung falscher 
Gerüchte, die Unzufriedenheit und Unruhe erzeugen könnten“, zu unter- 
drücken. Es gibt keine Kritik an der Regierung oder einzelnen Ministern 
in Wort und Schrift, die nicht mit Leichtigkeit in den Rahmen dieser 
elastischen revolutionären Verfügung gebracht werden könnte. Die Regie- 
rung, welche die öffentliche Meinung zuerst aushungerte, versucht sie jetzt 
zum Schweigen zu bringen und jede Aufdeckung administrativer Inkompe- 
tenz zu verhindern. Die Freiheit der Kritik ist das Lebensblut unseres 
ganzen nationalen Systems und die wichtigste Versicherung gegen ministerielle 
Autokratie, dir wir besitzen. In Kriegszeiten sollte von dieser Freiheit 
sparsam Gebrauch gemacht werden, sie sollte aber niemals zerstört werden. 
Das Land erwartet vom Parlameut, daß es ihre Erhaltung sicherstellt. 
27. November. Einsetzung einer Kommission zur Prüfung der 
Ansprüche Dritter, Engländer, Verbündeter oder Neutraler, auf 
Schiffe und Ladungen, die als Prisen festgehalten oder verurteilt 
wurden. 
30. November bis 5. Dezember. König Georg besucht die bri- 
tischen Truppen in Frankreich. 
Vor seiner Rückkehr erläßt er folgenden Tagesbefehl: Es ist für 
mich eine Freude, meine Armee im Felde zu sehen und eine Vorstellung 
von dem Leben erhalten zu können, das ihr führt. Ihr habt durch Diszi- 
plin, Mut und Ausdauer die Ueberlieferungen der britischen Armee hoch- 
gehalten und ihrer Geschichte neuen Ruhm hinzugefügt. Ich kann an euern
	        
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