Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

678 Fraukreit. (August 2.—4.) 
2. August. Kriegsminister Messimy erläßt folgendes Manifest: 
Heute morgen ist der französische Boden an drei verschiedenen 
Punkten durch die deutschen Truppen verletzt worden: gegen Longwy bei 
Luneville, in Cirey und bei Belfort. Der Krieg ist damit tatsächlich erklärt. 
Die Friedensbestrebungen. deren Ausdruck die Proklamation des Präsidenten 
der Republick ist, sind also vergeblich geblieben. Seit acht Tagen hat uns 
Herr von Schön mit süßlichen Friedensbeteuerungen eingeschläfert. Unter- 
dessen mobilisierte Deutschland heimlich und in tückischer Weise. Nun be- 
ginnt ein Kampf der Zivilisation gegen die Barbarei. Alle Franzosen 
müssen sich vereinigen im selben Gedanken, nicht bloß im Gefühl der Einig- 
keit und Pflicht, sondern auch im Haß gegen einen Gegner, der keinen 
andern Zweck verfolgt, als die Nation zu vernichten, die sich in der Welt 
zum Vorkämpfer von Recht und Freiheit gemacht hat. Unsere fünf Deckungs- 
korps werden heute nachts auf ihrem Posten antreten und dem Feinde 
gegenüberstehen bis zum Schluß der Konzentration. Rußland unterstützt uns. 
2. August. Der Finanzminister verfügt ein Moratorium für 
Kontokorrent= und Lombarddarlehen bis zum 31. August. 
Die Depositengläubiger sollen höchstens 250 Franken zuzüglich 5 Proz. 
von dem Reste ihres Guthabens erheben dürfen. Nach Kriegsausbruch wird 
ein allgemeines Handelsmoratorium erlassen. 
2. August. Französische Flieger über deutschem Gebiet. 
3. August. Deutschland erklärt an Frankreich den Krieg. 
Der Reichskanzler richtet an den Botschafter in Paris folgendes Tele- 
gramm: „Die deutschen Truppen hatten bis jetzt den Befehl, die französische 
Grenze strengstens zu respektieren und diesen überall strikt befolgt. Dagegen 
überschritten trotz der Zusicherung der Zehnkilometerzone französische Truppen 
schon gestern die deutsche Grenze bei Alt-Münsterol und auf einer Gebirgs- 
straße in den Vogesen und stehen noch auf deutschem Gebiet. Ein französischer 
Flieger, der belgisches Gebiet überflogen haben muß, wurde bei dem Versuch, 
die Eisenbahn bei Wesel zu zerstören, schon gestern herabgeschossen. Mehrere 
andere französische Flugzeuge wurden gestern über dem Eifelgebiet zweifels- 
frei festgestellt. Auch diese müssen belgisches Gebiet überflogen haben. Gestern 
warfen französische Flieger Bomben auf die Bahnen bei Karlsruhe und 
Nürnberg. Frankreich versetzte uns somit in den Kriegszustand. Ich biite 
Exzellenz, Vorstehendes heute nachmittag 6 Uhr der dortigen Regierung 
mitzuteilen, Ihre Pässe zu fordern und nach Uebergabe der Geschäfte an 
die amerikanische Botschaft abzureisen."“ 
Dieses Telegramm geht in Paris — vielleicht absichtlich — ver- 
stümmelt ein, so daß es in vielen Punkten unverständlich bleibt. Gleichwohl 
gibt der Botschafter in richtiger Erkenntnis der Lage eine Erklärung ab, 
die im wesentlichen dem Auftrage entspricht. (Den Wortlaut f. S. 683.) 
Der Botschafter verläßt abends Paris. 
3. August. Ein Erlaß des Präsidenten verhängt den Be- 
lagerungszustand über Frankreich und Algerien. 
Der Ministerrat beschließt Strafnachlässe für politische Gefangene 
und Suspension der Dekrete über die Schließung und Aufhebung der 
Kongregationen. 
4. August. (Kammer.) Kriegssitzung. 
Ministerpräsident Viviani verliest zunächst folgende Botschaft 
des Präsidenten: Frankreich ist soeben das Ziel eines brutalen und
	        
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