Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

692 Eranktei. (September 17. 20.) 
hat täglich Verletzungen des Völkerrechts begangen. Seit dem 18. August 
hatten wir zu wiederholten Malen Anlaß, Euer Exzellenz sowie den Signatar- 
mächten der Haager Konvention Attentate mitzuteilen. Deutschland, das 
um unsere Proteste wußte, sucht Sie nunmehr auf eine falsche Spur zu 
leiten und greift nach lügenhaften Vorwänden, um neue Barbareien be- 
ehen zu können. Im Namen des mißachteten Rechts und der beleidigten 
Fioilisollon sende ich Euer Exzellenz meinen entrüsteten Protestruf zu. 
gez. Raymond Poincaré. 
17. September. Zur Finanzlage. 
Die Regierung wird ihren dringenden Geldbedarf zunächst nicht 
durch eine Anleihe, sondern durch Ausgabe von kurzfristigen, auf drei 
Monate, bezw. ein Jahr laufenden obligations pour la défense nationale 
zu decken suchen. Die neuen Titres werden in Stücken von 100, 500 und 
1000 Franken angeboten und mit einem öprozentigen Zinsfuß ausgestattet 
werden. Die mit dem amerikanischen Bankhause J. P. Morgan & Co. ge- 
pflogenen Verhandlungen wegen einer Anleihe von 100 Millionen Dollar 
sind gescheitert, da die amerikanische Regierung erklärte, daß Anleihen 
amerikanischer Bankiers an kriegführende Staaten mit dem Geist einer 
strikten Neutralität unvereinbar seien. 
17. September. Ermahnung zur Beachtung der Genfer Kon- 
vention. 
Die Regierung weist in einem Erlaß darauf hin, daß nicht allein 
die internationale Gesetzgebung und die Genfer Konvention, sondern auch 
die Menschlichkeit gebiete, den deutschen Verwundeten die notwendige Pflege 
angedeihen zu lassen, auch schon deshalb, damit die Deutschen die französischen 
Verwundeten ebenso behandeln. Die Regierung fügt hinzu, alle Personen, 
die deutsche Verwundete nicht nach den Regeln der Genser Konvention 
behandeln, würden sofort ihres Dienstes enthoben werden. 
20. September. Beschießung des Reimser Doms. 
Die französische Regierung erhebt folgenden Protest: Ohne den Schein 
der militärischen Notwendigkeit anführen zu können, haben deutsche Truppen 
aus reiner Zerstörungswut den Dom von Reims planmäßig heftig bom- 
bardiert. Augenblicklich ist die berühmte Hauptkirche eine Ruine. (Spätere 
Berichte erweisen das Uebertriebene dieser Behauptung.] Es ist Pflicht der 
französischen Regierung, diese abscheuliche Tat des Vandalismus, die dadurch, 
daß ein Heiligtum unserer Geschichte dem Feuer übergeben wurde, die 
Menschheit eines unvergleichlichen künstlerischen Erbteiles beraubte, der all- 
gemeinen Entrüstung zu übergeben. gez. Delcassé. 
Das Wolffsche Tel.-Bureau bemerkt dazu am 22. amtlich: Die 
französische Regierung hat sich leider nicht vor einer verleumderischen Ent- 
stellung der Tatsachen geschent, wenn sie behauptet, daß deutsche Truppen ohne 
militärische Notwendigkeit den Turm von Reims zur Zielscheibe eines 
systematischen Bombardements gemacht hätten. Reims ist eine Festung, 
die von den Franzosen noch in den letzten Tagen mit allen zur Verfügung 
stehenden Mitteln ausgebaut worden ist und zur Verteidigung ihrer günstigen 
Stellung benutzt wird. Bei dem Angriff auf diese Stellung wurde das 
Bombardement von Reims leider zu einer Notwendigkeit. Befehle waren 
erteilt, die berühmte Kathedrale hierbei zu schonen. Wenn es trotzdem wahr 
sein sollte, daß bei dem durch den Angriff hervorgerufenen Brand von Reims 
auch die Kathedrale gelitten hat, was wir zurzeit nicht festzustellen vermögen, 
so würde das niemand mehr bedauern wie wir. Schuld tragen allein die
	        
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