736 Italien. (Dezember 15.)
vention einzugehen. Mit Ausnahme eines Teils der liberalen Partei, die
von falschen Voraussetzungen sich leiten ließe, seien die Fürsprecher des
Krieges nur antikonstitutionelle Leute. Es seien die Antimilitaristen von
gestern, die in dem Kriege eine Gelegenheit sähen, Italiens innere Lage
zu verändern, und die ihren revolutionären und anarchistischen Gärungs-
stoffen Lust machen wollten. Er weist dann auf die schwere Gefahr hin,
die besonders den Kolonien Italiens durch die Türkei drohe, falls Italien
auf seiten des Dreiverbandes am Kriege teilnehme, und fährt fort: Die
Rechnung, die viele über den Ausgang des Kampfes und die Bedingungen
aufstellen, unter denen sich derjenige befinden würde, der am Kriege nicht
teilnimmt und der ohne Kompensationen bleibt und ausgesetzt ist dem Urteils-
spruch der Sieger, ist naiv, denn sie sieht die vollkommene Besiegung einer
der beiden Parteien voraus. Daß, wie auch immer es sei, diese Nieder-
werfung nicht wahrscheinlich bei derjenigen Partei eintreten wird, von der
es einige hoffen, das kann man aus dem Heldenmut schließen, mit dem
Deutschland Krieg führt. Grundlegende Erwägungen sprechen gegen eine
Intervention, welche die Macht der auf den Meeren rivalisierenden Staaten
vermehren könnte. Gründe der Moral und des politischen internationalen
Anstandes widerraten, den Verbündeten den Gnadenstoß zu geben. (Beifall.)
15. Dezember. (Senat.) Die Tagesordnung Pedotti, die die
Regierungserklärung vorbehaltlos billigt, wird einstimmig an-
genommen. Sodann nimmt der Senat den Gesetzentwuf über die
Bewilligung der sechs provisorischen Budgetzwölftel bis zum 30. Juni
1915 und die damit zusammenhängenden Finanzmaßregeln an.
In der Debatte führt Senator Garofalos aus: Wir können keine
Feindseligkeiten gegen Nationen unternehmen, mit denen wir so lange ver-
bunden gewesen sind, und auch nicht gegen andere Nationen, mit denen
uns Bande der Rassenverwandtschaft einen. Es ist daher nicht schön, wenn
von einigen der Gedanke vertreten wird, daß Italien sich vorbehalte, in
den Kampf einzutreten, um dem Besiegten den Gnadenstoß zu geben. Es
ist nicht schön, wenn wir unsere Hilfe verschachern und nicht vor schändlichem
Verrat zurückscheuen. In der Regierungserklärung hatten die Worte, die
sich auf unsere Absichten bezogen, nicht weniger den Orient als den Okzident
im Auge. Man darf hoffen, daß einige Städte, wo man Italienisch spricht,
nicht immer von uns getrennt bleiben. Aber das ist eine Erwägung, die
wir mit anderen Nationen gemein haben. Heute ist es wünschenswert, daß
die Völker national geeinigt seien. Aber der Wunsch, eine Sache zu be-
sitzen, rechtfertigt noch nicht ein gewaltsames Vorgehen, um sich ihrer zu
bemächtigen.
Ministerpräsident Salandra erklärt: Wir wissen wohl, daß in
Italien und im Auslande das Wort der Regierung mit patriotischer Be-
sorgnis und mit Vorurteilen verschiedenster Art erwartet worden ist. Es
trat aber kein Ereignis ein, das unsere Haltung ändern konnte. Wir wissen,
daß unsere Verantwortlichkeit sehr groß ist, weil man uns völlige Hand-
lungsfreiheit gewährt. Was werden wir tun? Wir werden nur italienische
Politik treiben! Ohne den Wert der Nationen oder der Gruppen der
Nationen, die gegenwärtig kämpfen, herabzusetzen, hat Italien in seiner
Vergangenheit so großen Ruhm erworben, hat soviel für die allgemeine
Zivilisation getan und hat soviel Interessen und Ansprüche für sich selbst,
daß die Aufgabe der Regierung sich erschöpft in der Bewahrung des
Namens und der Zukunft unseres Landes. Man hat gemeint, wir hätten
unsere Neutralität nach zweckentsprechenden Verhandlungen erklären sollen.