Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Rußland. (Februar 12. 13.) 801 
Bestellungen für die russische Marine ausführen. Auf die Frage, ob Ruß- 
land nicht dem Beispiel der Türkei folgen sollte, welche völlig fertige 
Kriegsschiffe kaufe, bemerkt der Minister, daß, selbt wenn Rußland solche 
Schiffe gekauft hätte, es doch keine Möglichkeit habe, sie ins Schwarze Meer 
zu schaffen. 
12. Februar. Der reaktionär bewährte frühere (1906) Mi- 
nisterpräsident J. L. Goremykin wird zum Ministerpräfidenten er- 
nannt. Die Leitung des Finanzministeriums übernimmt P. L. Bark. 
Ein kaiserlicher Erlaß an den Leiter des Finanzministeriums 
erinnert an die persönlichen Beobachtungen des Kaisers während seiner 
jüngsten Reise, die es ihm ermöglicht habe, die Lebensbedürfnisse der Be- 
völkerung direkt kennen zu lernen. So sehr er mit Genugtuung die pro- 
duktiven Kräfte und die Arbeitskraft des Volkes festgestellt habe, so müsse 
er doch zu gleicher Zeit mit tiefem Schmerz auf die traurigen Tatsachen 
der Schwäche, der Armut und der ökonomischen Zerrüttung hinweisen, die 
unvermeidbaren Folgen der Trunksucht, sowie des Fehlens eines regel- 
mäßigen und allen zugänglichen Kredits. Er sei zu dem Entschluß ge- 
kommen, daß es dringend notwendig sei, radikale Reformen in der Finanz- 
verwaltung und im ökonomischen Leben des Landes durchzuführen. Es sei 
unzulässig, die günstige Lage des Staatsschatzes auf die Zerrüttung der 
moralischen und ökonomischen Kräfte der großen Mehrheit der russischen 
Bürger zu gründen. Daher sei es von Wichtigkeit, Finanzpolitik in dem 
Sinne zu betreiben, Einnahmen ausfindig zu machen, die herrührten aus 
den unerschöpflichen Reichtümern des Landes und aus der produktiven 
Arbeit der Bevölkerung. Unter Wahrung eines vernünftigen Sparsamkeits- 
prinzips müsse gleichzeitig die Sorge, die produktiven Kräfte des Landes 
zu vermehren, sich vereinen mit der Sorge, die Bedürfnisse des Volkes 
zu befriedigen. Dies seien die beabsichtigten Ziele der wünschenswerten 
Reformen, von deren dringender Notwendigkeit er überzeugt sei, um so 
mehr, als er dabei ein lebhaftes Echo in den gesetzgebenden Kammern ge- 
funden habe. 
12. Februar. Abschluß der Putilow-Affäre. (Siehe 28. Januar.) 
Die französischen und russischen Finanzdelegierten sind überein- 
gekommen, je eine Hälfte der zur Erhöhung des Kapitals der Putilow= 
werke bestimmten 34 Millionen Rubel zu übernehmen. Von diesem Kapital 
sind 13 Millionen Aktien, 15 Millionen Obligationen und 6 Millionen 
dienen dem Ankauf der Newskiwerkstätten. Die Aktien und Obligationen 
werden auf dem Pariser Markt emittiert. 
13. Februar. (Reichsrat.) Bedeutsame Rede des ehemaligen 
Botschafters in Tokio, Barons Rosen, über die Lage. 
Europa steht unter der Zwangsvorstellung der beiden Mächtegruppen. 
Dreibund gegen Dreiverband, die zu früherem oder späterem Zu- 
sammenstoß rüsten. Der einzige Ausweg aus der beunruhigenden Lage, 
welche in Europa herrscht, besteht entweder in der Beseitigung des großen 
Gegensatzes, der übrigens den russischen Interessen vollkommen fremd ist 
und der dieses System von Verbänden ins Leben gerufen hat, oder in einem 
bewaffneten Zusammenstoß, welchem Rußland, das seinen Verpflichtungen 
stets treu geblieben ist, nicht wird ausweichen können. Es fragt sich nun, 
wann man den Beginn der endgültigen Krise und mit ihr die blutige Auf- 
lösung des Dramas Europas erwarten kann. Niemand ist es gegeben, in 
die Zukunft zu schauen, doch die Erhebung einer Milliardensteuer vom 
Europäischer Geschichtskalender. LV. 51
	        
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