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Jahren, auf die es jetzt zurückblickt, bedeutet jener Zeitpunkt den niedrigsten
Tiefstand von Rußlands Einfluß im Rate der europäischen Völker. Allem
äußern Anschein nach hat es sich von den schweren Niederlagen der Jahre
1904 und 1905 soweit erholt, daß die Regierung jetzt übersehen kann,
wann sie mit Sicherheit wieder so nachdrücklich ihr Wort wird in die Wag-
schale werfen können, wie sie es, auch unter der Androhung der ultima
ratio, möchte. Vorweggenommen sei, daß heute Rußland nicht in der Lage
ist, politische Drohungen mit Waffengewalt zu unterstützen. Ohne daß man
sich den Ausdruck des Chefs der Abteilung für den nahen Orient im Mini-
sterium des Aeußern, Fürsten Trubezkoi, zu eigen macht, Rußland kämpfe
mit Schwertern aus Pappe, eine zur Agitation für Rüstungszwecke er-
fundene Uebertreibung, wird man doch zugeben, daß es eine Torheit wäre,
wenn die russische Diplomatie ihr letztes Werkzeug einsetzte, ehe es fertig
geschmiedet wäre. Und das ist es jetzt noch nicht. Eine unmittelbare
Kriegsgefahr droht also von Rußlandnicht, so sehr auch von fran-
zösischer Seite mit dem russischen Säbel gerasselt wird. Ganz anders wird
jedoch die politische Wertung der russischen Heeresmacht in drei bis vier
Jahren ausfallen. Die Gesundung der Finanzwirtschaft und Hebung des
Kredits, den übrigens Frankreich gegen deutschfeindliche militärische Ver-
sprechungen immer gern gewährt, haben Rußland in einen vorwärtsstrebenden
Kurs gebracht, dessen Ziel, wenn es ruhig weitersteuern kann, im Herbst
1917 erreicht sein wird. Dann wird es in der Ostsee über zwei Geschwader
mit acht, zum Teil freilich veralteten Linienschiffen, vier große und sechs
mehr oder minder veraltete Schlachtkreuzer, sechs moderne geschützte Kreuzer
und eine ganze Reihe veralteter kleiner Schiffe, 114 Torpedobootszerstörer,
15 Torpedoboote und 25 Unterseeboote verfügen. Am Ausbau der Befesti-
gungen am finnischen und bottnischen Meerbusen wird emsig und plan-
mäßig gearbeitet, so daß von Pollangen an der deutschen bis Tornea an
der schwedischen Land- und Wassergrenze Werke und Kanonen die Basis
der schwimmenden Streitmacht bilden. Gern möchte man Schweden in das
russische System der Beherrschung der Ostsee hineinziehen und fängt dies,
wie schon häufig in der Geschichte der russischen Expansion, so erst jüngst
wieder bei der Annexion der Mongolei, mit wirtschaftlichem Entgegen-
kommen an. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß Rußland, das
sogar den Wettbewerb Finnlands fürchtet, an einer Erleichterung der schwe-
dischen Einfuhr durchaus nichts gelegen sein kann. In Schweden haben die
besten Kenner Rußlands dessen wahre Absichten, Schweden aus seiner neu-
tralen Stellung zugunsten Rußlands herauszulocken, und die hiermit für
Schweden verbundenen Gefahren erkannt, und, um nicht zu unfreiwilliger
Gefolgschaft gezwungen zu werden, zur Verstärkung der Befestigungen an
der russischen Grenze ausgerufen. Die russische Aktion gegenüber Schweden
erscheint jedoch im Gesamtbild der russischen äußern Politik sekundärer
Natur, solange Schweden auf seiner Hut ist und daran denkt, wie be-
gehrenswert Rußland ein eisfreier Hafen an der näördlichen Küste Skan-
dinaviens seit langen Zeiten erscheint.
Dasselbe Bild wie bei der Flotte bietet sich auch bei der Land-
armee. Genaue Angaben über deren Ausbau fehlen. Die russische Presse
ist durch neuerdings noch verschärfte, drakonische Gesetze verpflichtet, kein
Wort über diese Vorgänge verlauten zu lassen. Im allgemeinen ist nur
bekannt, daß an der Aufstellung von fünf neuen Armeekorps gearbeitet
wird, die entsprechend der dreijährigen Dienstzeit in drei Jahren mit allen
Reserveformationen mobilmachungsfähig sein werden. Die Ergänzung des
Artillerie- und Kriegsmaterials wird in einem von den Lieferanten noch
nie gesehenen Maßstabe betrieben, ohne auf die Fertigstellung der Riesen-