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liefert deshalb auch der Türkei Schiffe, Offiziere und Mannschaften für
eine Flotte, die den verbrauchten Schiffen der Russen im Schwarzen Meer
weit überlegen ist und ihnen jederzeit die Durchfahrt wehren kann.
Für Rußlands amtliche Politik ist und bleibt als Hindernis für
rückhaltlos gute Beziehungen zu Deutschland ihre Abhängigkeit von
Frankreich bestehen. Im Falle Sanders haben ihre Leiter unter fran-
zösischem Einfluß eine Nervosität an den Tag gelegt, die uns deutlich be-
weisen muß, daß die korrekten Beziehungen keinerlei Belastungsprobe aus-
halten. Sicher hat Herr Ssasonow einen schweren Stand gegen nationali-
stische Kulissenschieber bei Hofe, aber auch er persönlich hat es an über-
flüssigen Unterstreichungen des Zweibundes nicht fehlen lassen. Es unter-
liegt keinem Zweifel, daß wenigstens die amtliche Führung der deutsch-
russischen Beziehungen ein ganz anderes Gesicht bekäme, wenn die russischen
Herren wüßten, daß sie künftighin nicht immer mit Entgegenkommen von
deutscher Seite, sondern mit einem festen Willen zu rechnen hätten, daß
das Angefangene unbedingt durchgeführt würde, unbekümmert um Nervo-
sitären und Verärgerungen. Ein gut Teil dieser Nervosität und Verärgerung
ist nichts als Bluff. Wie man vor zehn Jahren gegen Japan geblufft hat
und mit einem Male — zu spät erschrak, als die andern Ernst machten, so
blufft man jetzt bei jeder Gelegenheit gegen Deutschland. Da wird angeblich
vertraulich, aber so, daß man es in Deutschland erfährt, von der geheimnis-
vollen Verwendung der ersparten 300 Mill. geredet, da wird die Atmosphäre
durch den Bluff eines Tripleentententribunals in London verdorben. Da
werden Delcassé bei seinem Abgange Ehren erwiesen, als sei er der Lehr-
meister Ssasonows gewesen, wird Poincarés Sommerreise mit einem Pathos
umgeben, als hinge davon das Heil Europas ab. Wir wissen, woran wir
sind. Einstweilen ist dies alles noch nichts als Blendwerk für die Zeit der
Rüstung. Dieses Gebaren der amtlichen russischen Politik sollte aber endlich
einmal die Legende von der geschichtlichen deutsch-russischen
Freundschaft zerstören. Abgesehen davon, daß solche sentimentalen
Schlagwörter in der Politik Unsinn sind, muß man die ganz andern Ver-
hältnisse betrachten. Unter ganz andern dynastischen Beziehungen und zu
Zeiten, als Persönlichkeit und Stellung des Monarchen in Rußland die
allein entscheidende Stimme hatte, hat es gute preußisch-russische Beziehungen
gegeben. Dieselben ohne sachlichen Grund auf die heutigen Verhältnisse zu
übertragen, ist ohne jede innere und äußere Berechtigung.
Die „Pol. Korr.“ bemerkt dazu offiziös (4. März): Es verdient
ausdrücklich hervorgehoben zu werden, daß deutsche amtliche Kreise zu diesem
Artikel in keiner Beziehung stehen und daß die Ansichten des Petersburger
Vertreters des rheinischen Blattes an maßgebenden Stellen hier nirgends
geteilt werden. Reichskanzler v. Bethmann Hollweg hat bekanntlich im
vorigen Jahre bei den Verhandlungen über die Militärvorlage im Reichs-
tage ebenfalls auf die Entwicklung des russischen Militärsystems hingewiesen,
wie das natürlich und notwendig war. Den Fortschritten Rußlands auf
militärischem Gebiete aber einen bedrohlichen Charakter speziell gegen
Deutschland beizulegen, liegt keine Veranlassung vor. Von Paris aus wird
übrigens schon die törichte Suggestion ausgestreut, es seien in nächster Zeit
noch weitere derartige Artikel zu erwarten, um die Stimmung im Deutschen
Reiche für einen Präventivkrieg reif zu machen. Einer solchen Frivolität
ist in Deutschland niemand fähig, am wenigsten die Stellen, die vor ihrem
Volke und vor der Geschichte die Verantwortung für die Entwicklung der
internationalen Beziehungen zu tragen haben. Solche französische Ver-
dächtigungen zeigen aber, daß gewissen Kreisen in Paris von denjenigen
Publizisten eine unbeabsichtigte Hilfe geleistet wird, die ohne Not mit einem