Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

814 Rußland. (März 13. 14.) 
lischer Seite ausgehen sollte. Wäre es nicht besser, wenn die deutsche Presse, 
anstatt verwickelte Voraussetzungen über die Beweggründe aufzustellen, von 
denen die russische Regierung sich leiten läßt, indem sie an der Vermehrung 
und Vervollkommnung ihrer Kriegsmacht arbeitet, sich bemühen würde, 
Reibungen und Mißverständnisse glücklich zu beseitigen, welche immer 
zwischen Nachbarstaaten, ob sie auch durch lange währende Freudschafts- 
bande vereinigt sind, entstehen können? Die deutsche Presse beklagt sich 
über die Hetze der russischen Presse gegen Deutschland. In dieser Beziehung 
kann man nur sagen, daß unter den deutschen Publizisten eine nicht ge- 
ringe Zahl von Elementen vorhanden ist, die Rußland mißgünstig gesinnt 
sind. Es folgt jedoch daraus nicht, daß die Regierungen Ruß- 
lands und Deutschlands die Absicht haben, über die Legende 
von der russisch-deutschen Freundschaft ein Kreuz zu machen. 
13. März. Gleichzeitig mit dem Artikel der „Rossija“ bringt 
die „Petersburger Börsenzeitung“ kriegslustige, vom Kriegsminister 
Ssuchomlinow angeblich gebilligte Erklärungen über Rußlands mili- 
tärische Bereitschaft. (Die Antwort der „Nordd. Allg. Ztg.“ s. S. 138.) 
Die „P. B.“ schreibt u. a.: Wir können stolz behaupten, die Zeiten 
der Drohungen sind vorüber! Rußland braucht fernerhin keine Drohungen 
mehr zu fürchten. Die russische öffentliche Meinung hat keinen Grund mehr, 
sich zu beunruhigen. Wir stellen im vollen Bewußtsein der Macht unseres 
von der ausländischen Presse beleidigten Vaterlandes fest, daß das Haupt- 
ziel der Landesverteidigung erreicht ist. Bisher hatte der russische Operations= 
plan einen defensiven Charakter, heute wissen wir, daß dierussische 
Armee im Gegenteil eine aktive Rolle spielen wird. Heute ist 
eine befestigte Verteidigungslinie an die Stelle einer Reihe von Forts getreten, 
es sind die früheren defensiven Bahnen verlassen worden. Unsere Kavallerie 
ist beträchtlich vermehrt worden und bildet ein homogenes Ganze. Unsere 
Artillerie besitzt Geschütze, die den fremden Modellen nichts nachgeben und 
unsere Feldgeschütze sind sogar denen anderer Staaten überlegen; unsere 
Artillerie wird sich auch nicht mehr über den Mangel an Geschossen zu 
beklagen haben. Die Lehren der Vergangenheit sind auf fruchtbaren Boden 
gefallen. Unser militärischer Automobilismus hat einen hohen Grad erreicht, 
alle Einheiten besitzen telephonische Einrichtungen, die Soldaten können im 
Bedarfsfalle das Eisenbahnpersonal ersetzen, unsere Luftdreadnoughts des 
Dyps „Sikorsky“ sind bekannt. Wir können daher hoffen, daß, wenn die 
Umstände es erheischen, unsere russische Armee nicht nur Stärke besitzt, 
sondern auch gut unterrichtet, wohl bewaffnet, mit allen Neuerungen ver- 
lehen ist. Unsere Armee, die bisher in Feindesland zu kämpfen pflegte, 
wird die Grundsätze unseres Verteidigungssystems nicht vergessen. Unsere 
Armee ist durch die Stärke ihrer Kavallerie und die Güte ihrer Ausrüstung 
an die erste Stelle gerückt. Es ist richtig, daß die russische 
öffentliche Meinung sich bewußt ist, daß das Vaterland 
für jede Möglichkeit gefaßt ist, aber die militärische Macht eines 
Landes, dessen Herrscher auf der Friedenskonferenz im Haag die Initiative 
ergriffen hat, kann nur den Staaten unangenehm sein, die aggressive Ab- 
sichten haben. Niemand darf es gelüsten nach Teilen des russischen Reiches. 
Mit seinem Herrscher wünscht Rußland den Frieden, aber im Bedarfsfalle 
sind wir gut gerüstet! 
14. März. Die „Köln. Ztg.“ äußert sich zu dem Artikel der 
„Nordd. Allg. Ztg.“ vom 13. März. (Siehe S. 138.)
	        
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