Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Serbien. (Juli 27. -29.) 927 
27. Juli. Eine ergänzende Mobilifierungsorder beruft alle 
Wehrfähigen vom 18. bis zum 60. Lebensjahre ein. 
28. Juli. Danktelegramm des Prinzregenten Alexander an 
Zar Nikolaus. 
Tief ergriffen von dem Telegramm, das Eure Majestät die Gnade 
hatte, gestern an mich zu richten, beeile ich mich, Eurer Majestät von ganzem 
Herzen zu danken. Ich bitte Eure Majestät, überzeugt zu sein, daß die 
herzliche Sympathie, die Eure Majestät zu meinem Lande hegt, uns in 
besonderem Maße wertvoll ist und unsere Seele mit der Hoffnung erfüllt, 
daß die Zukunft Serbiens gesichert ist, da sie der Gegenstand der wohl- 
wollenden Fürsorge Eurer Mojestät geworden ist. Diese schweren Zeiten 
können nur die Bande der innigen Anhänglichkeit befestigen, die Serbien 
mit dem heiligen fslawischen Rußland verbinden, und die Gefühle ewiger 
Dankbarkeit für die Hilfe und den Schutz Eurer Majestät werden in den 
Herzen aller Serben wie ein Heiligtum bewahrt werden. 
28. Juli. Osterreich-Ungarn erklärt Serbien den Krieg. 
Amtlich wird darüber bekannt gemacht: Auf Grund Allerhöchster 
Entschließung Seiner k. u. k. Apostolischen Majestät vom 28. Juli 1914 
wurde heute an die königlich serbische Regierung die in französischer Sprache 
abgefaßte Kriegserklärung gerichtet, welche in deutscher Uebersetzung lautet: 
Da die königlich serbische Regierung die Note, welche ihr vom österreichisch- 
ungarischen Gesandten in Belgrad am 23. Juli 1914 übergeben worden war, 
nicht in befriedigender Weise beantwortet hat, so sieht sich die k. u. k. Re- 
gierung in die Notwendigkeit versetzt, selbst für die Wahrung ihrer Rechte 
und Interessen Sorge zu tragen und zu diesem Ende an die Gewalt der 
Waffen zu appellieren. Oesterreich-Ungarn betrachtet sich daher von diesem 
Augenblicke an als im Kriegszustande mit Serbien befindlich. Der öster- 
reichisch--ungarische Minister des Aeußern Graf Berchtold. 
29. Juli. Kriegsmanifest des Prinzregenten Alexander. 
Ich bringe meinen teuren und tapferen Serben das große Unglück 
zur Kenntnis, das Serbien getroffen: Oesterreich-Ungarn hat uns den Krieg 
erklärt. Es ist notwendig, daß wir jetzt alle einig sind, daß wir zeigen, 
daß, so oft Wien daran ein Interesse hatte, es den Serben feierlich ver- 
sprach, sie gerecht zu behandeln, daß es aber nie seime Versprechungen ein- 
hielt. Es war vergebens, daß an den Grenzen Serbiens und Kroatiens so 
viele serbische Helden für den Ruhm Europas und die Interessen des 
Wiener Hofes ihr Blut ließen. Vergebens waren die Opfer, die Serbien 
während der Regierung meines Großvaters brachte, um den Thron der 
Cäsaren vor der Wut der Nationen, die sich gegen ihn erhoben hatten, zu 
retten. Vergebens trachtete Serbien in Frieden mit der Nachbarmonarchie 
zu leben. Verlorene Mühe! Die Serben wurden als Staat und als Volk 
verdächtigt und folglich vor den anderen Nationen erniedrigt. Sechsund- 
dreißig Jahre sind es her, daß Oesterreich die serbischen Gebiete von Bos- 
nien und der Herzegowina okkupierte; vor sechs Jahren hat es diese Gebiete 
an sich gebracht, ohne ein Recht gehabt zu haben, ihnen ihre verfassungs- 
mäßige Freiheit zu entziehen. All dies erweckte im Volke eine tiefe Un- 
zufriedenheit, insbesondere in der feurigen Jugend, und der Widerstand 
zeugte endlich das Verbrechen von Serajewo. Serbien hat dieses Attentat 
innig bedauert und verurteilt. Es hat sich bereit erklärt, alle Mitschuldigen 
des Mörders vor Gericht zu stellen; aber bald sah Serbien mit Erstaunen, 
daß die Oesterreicher die Verantwortung für das Verbrechen nicht der
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.