Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

960 Pereinizte Stasten von Nordemeriks und Kanada. (September 7.—17.) 
um das Schatzdefizit zu verhindern, das infolge des Krieges in 
Europa droht. 
7. September. (Kongreß.) Staatssekretär Bryan beantragt 
einen Kredit von einer Million Dollar zu außerordentlichen Zwecken 
für die Vertretungen der Vereinigten Staaten im Ausland während 
des Krieges. 
8. September. Telegramm Kaiser Wilhelms an Präsident 
Wilson. (Siehe „Das Deutsche Reich“.) 
15. September. (Washington.) Unterzeichnung eines ameri- 
kanisch-französischen Schiedsgerichtsvertrages. 
Mitte September. Mit großer Bestimmtheit tritt das Gerücht 
auf, daß Präsident Wilson den kriegführenden Mächten seine Bereit- 
willigkeit zur Friedensvermittlung erklärt habe. 
Nach einer Mitteilung der „Köln. Zig.“ vom 20. Sept. meldet das 
Reuterbureau aus Washington, Präsident Wilson habe auf eine Anfrage 
in Berlin, ob Kaiser Wilhelm geneigt sei, in Unterredungen wegen des 
Friedens einzutreten, eine ausweichende Antwort vom deutschen Reichs- 
kanzler erhalten. Die Antwort des Reichskanzlers gehe dahin, daß nach 
dem zwischen den Verbündeten getroffenen Uebereinkommen, keinen Sonder- 
frieden abzuschließen, Amerika sich zur Erlangung von Friedensvorschlägen 
an die Verbündeten wenden müsse. 
Mitte September. Scheitern eines französischen Anleihe- 
versuchs. 
Staatssekretär Bryan erklärt, daß Anleihen von amerikanischen 
Banken an eine kriegführende Nation mit dem wahren Geist der Neu- 
tralität nicht vereinbar seien. 
17. September. Präsident Wilson empfängt die belgische Klage- 
gesandtschaft. 
Er führt aus: Sie haben sich nicht geirrt in Ihrer Ueberzeugung, 
daß das Volk dieses Landes die Gerechtigkeit liebt, die geraden Wege des 
Fortschritts sucht und namentlich die Rechte der Menschlichkeit- wahren 
will. Ich bin sehr geehrt durch die Tatsache, daß Ihr Land sich in dieser 
Zeit der Trübsal an mich gewandt hat, als an jemanden, der, wie auch 
das Volk, das er vertritt, bereit sein würde, die an ihn von einer Nation, 
die sich über das ihr widerfahrene Unrecht beklagt, ergangenen Aufforderung 
an sein großes menschliches Mitgefühl einer Erwägung zu unterziehen. 
Ich werde den mir durch Ihre Gesandtschaft zugestellten Protest ernstlich 
prüfen. Sie werden sicherlich nicht von mir erwarten, daß ich gegenwärtig 
mehr hinzufüge. Ich bitte zu Gott, daß dieser Krieg bald enden möge. 
Der Tag der Abrechnung wird dann kommen, an welchem, das glaube ich 
fest, die europäischen Staaten zusammenkommen werden, um Beschluß zu 
fassen über die geschehenen Missetaten, über deren Folgen, über die daraus 
entstandene gegenseitige Verantwortung. Die Staaten der Welt hatten schon 
ein Uebereinkommen mit Bezug auf derartige Entschlüsse getroffen, allein 
eine derartige Regelung kann nicht nach dem Maßstab der menschlichen 
Ansichten gemessen werden. Der oberste Richter wird da entscheiden, und 
es wäre unvernünftig und vermessen, wenn eine einzelne Regierung, wie
	        
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