Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Pereinigte Staaten von Nordamerika und Kausda. (Dezember 28.) 969 
sondern auch viele der großen Industrien dieses Landes leiden, da ihre 
Erzeugnisse von lange bestehenden Märkten in europäischen Ländern ab- 
gehalten werden, die, obgleich sie neutral sind, an eine der kriegführenden 
Nationen grenzen. Die Produzenten und Exporteure, Schiffahrts- und Ver- 
sicherungsgesellschaften drängen, und nicht ohne Grund, auf Aufhebung der 
Bedrohung des trausatlantischen Handels, die allmählich, aber sicher ihre 
Geschäfte vernichtet und sie mit finanziellem Untergang bedroht. Die Re- 
gierung der Vereinigten Staaten, die noch auf den hohen Gerechtigkeits- 
sinn der britischen Nation rechnet, der im Verkehr zwischen den beiden 
Ländern im Laufe vieler Jahre ununterbrochener Freundschaft oft zum 
Ausdruck gekommen ist, spricht zuversichtlich die Hoffnung aus, daß die 
Regierung Seiner Majestät die Hemmungen und die Schwierigkeiten, die 
ihre jetzige Politik dem Handel zwischen den Vereinigten Staaten und den 
neutralen Ländern Europas in den Weg gelegt hat, verstehen und ihren 
Behörden Weisung erteilen wird, von jedem unnötigen Eingreifen in die 
Handelsfreiheit der Nationen, die Leidtragende, aber nicht Beteiligte im 
gegenwärtigen Konflikt sind, abzusehen, und daß sie in ihrer Behandlung 
neutraler Schiffe und Ladungen mehr in Uebereinstimmung mit den Regeln 
bezüglich der maritimen Beziehungen zwischen Kriegführenden und Neu- 
tralen vorgehen wird, die die Sanktion der zivilisierten Welt erhalten 
haben und die Großbritannien in anderen Kriegen so stark und erfolgreich 
befürwortet hat. Zum Schluß sollte die Regierung Seiner Majestät dringend 
darauf aufmerksam gemacht werden, daß die gegenwärtige Lage des aus- 
wärtigen Handels mit neutralen Ländern derart ist, daß — wenn sie nicht 
besser wird — dadurch ein Gefühl hervorgerufen werden dürfte, das im 
Gegensatz zu dem stände, das so lange zwischen dem amerikanischen und 
dem britischen Volke geherrscht hat. Diese Lage wird bereits mehr und 
mehr Gegenstand öffentlicher Kritik und Klage. Es besteht ein zunehmender 
Glaube, der zweifelsohne nicht ganz unberechtigt ist, daß die gegenwärtige 
britische Politik gegenüber dem amerikanischen Handel für die Depression 
in gewissen Industrien, die von europäischen Märkten abhängig sind, ver- 
antwortlich ist. Die Aufmerksamkeit der britischen Regierung wird auf 
diese möglichen Folgen ihrer gegenwärtigen Politik gelenkt, um zu zeigen, 
wie weitgehend die Schäden für das Gewerbsleben der Vereinigten Staaten 
sind, und um Nachdruck darauf zu legen, wie wichtig die Beseitigung der 
Ursachen der Klagen ist. 
In der Besprechung der Note geben die englischen Blätter einer 
deutlichen Verstimmung Ausdruck. Sie betonen zumeist nachdrücklich, daß 
der Krieg norwendigerweise ein mehr oder weniger strenges Vorgehen gegen 
Konterbande mit sich bringe und daß, je lockerer dieses Vorgehen wäre, 
um so länger der Krieg dauern würde, zum Schaden des neutralen Ge- 
schäfts. „Daily Chronicle“ erklärt, die Behauptung, daß der amerika- 
nische Ausfuhrhandel stark gehindert werde, wirke etwas seltsam angesichts 
der von amerikanischer Seite veröffentlichten Zahlen, die bewiesen, daß die 
Ausfuhr von Lebensmitteln aus der Union im November 1914 viermal 
so groß gewesen sei als im November 1913.
	        
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