Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Greßbritannien. (August 1.) 549 
Flotte an. Oesterreich-Ungarn antwortete daher nichts mehr auf die Schritte 
des Deutschen Kaisers. Diese Mobilmachung war offenkundig gegen Deutsch- 
land gerichtet. Daher sandte der Kaiser ein Ultimatum an Rußland. 
Er fragte auf der anderen Seite bei Frankreich an, ob es im Falle eines 
Konfliktes neutral bleiben würde. 
Das ist also der Wortlaut der deutschen Erklärung. Ich glaube, 
daß wir uns einem Mißverständnis gegenüber befinden. Mein heißester 
Wunsch ist, kein Mittel unversucht zu lassen, um die schreckliche Katastrophe 
zu vermeiden, welche die ganze Welt bedroht. Ich richte daher einen per- 
sönlichen Appell an Sie, dieses Mißverständnis zu zerstreuen, das nach meiner 
Ueberzeugung plötzlich eingetreten ist und noch gestattet, die Friedensver- 
handlungen fortzusetzen. Wenn Sie glauben, daß es in meiner Macht steht, 
in diesem Sinne zu vermitteln, so werde ich alles in der Welt tun, um 
die Verhandlungen durch die beiden fraglichen Staaten wieder aufnehmen 
zu lassen. 
Auf dieses Telegramm antwortet der Zar folgendermaßen: 
Ich hätte #6ebhast gewünscht, Ihren Vorschlag anzunehmen, wenn 
ich nicht heute mittag von dem deutschen Botschafter die Mitteilung der 
Kriegserklärung erhalten hätte. Seit der Uebergabe des österreichischen 
Ultimatums an Belgrad hat Rußland alles getan, was in seiner Macht 
stand, um die Frage friedlich zu lösen, die von Oesterreich aufgeworfen ist. 
Das Ziel der Oesterreicher war, Serbien zu zermalmen und daraus einen 
Vasallenstaat zu machen, um das Gleichgewicht der Kräfte auf dem Balkan 
zu zerbrechen, das für mein Reich ein Lebensinteresse darstellt. Alle fried- 
lichen Vorschläge, eingeschlossen die Ihrer Regierung, sind von Deutschland 
und Oesterreich-Ungarn zurückgewiesen worden. Die österreichisch-serbische 
Kriegserklärung hat mich gezwungen, einen Teil meines Heeres mobil zu 
machen, obwohl schon in diesem Augenblick meine militärischen Ratgeber 
mich verpflichteten, die allgemeine Mobilmachung zu verkünden wegen der 
Schnelligkeit der deutschen Mobilmachung verglichen mit der unfrigen. 
Ich bin dazu, das ist richtig, bald gezwungen worden durch die allgemeine 
Mobilmachung Oesterreichs, das Bombardement von Belgrad, die Zusammen- 
ziehung österreichischer Truppen in Galizien und geheime militärische Vor- 
kehrungen, die von Deutschland unternommen wurden. Der Beweis, daß 
meine Haltung gerechtfertigt war, findet sich in der plötzlichen Kriegs- 
erklärung Deutschlands, die mich vollständig unerwartet getroffen hat, da ich 
Kaiser Wilhelm die kategorische Versicherung gegeben hatte, daß meine 
Truppen nicht in Tätigkeit treten würden, so lange wie die Verhandlungen 
nicht abgebrochen wären. In dieser feierlichen Stunde will ich Ihnen noch 
die Versicherung geben, daß ich alles getan habe, was in meiner Macht 
stand, um den Krieg zu vermeiden. Gegenwärtig, wo ich in ihn hinein- 
gestoßen bin, hoffe ich, daß Ihr Land nicht zögern wird, Frankreich und 
Rußland beizustehen. Gott segne und schütze uns! 
1. August. Die „Westminster Gazette“ zur Lage. 
Das Blatt betont, daß England bemüht gewesen sei, die Vermittler- 
rolle zu spielen und unverpflichtet zwischen den beiden Lagern zu stehen, 
sowie daß keine bindenden Verpflichtungen für England existieren. Sodann 
fährt es fort: Aber Deutschland weiß, daß gewisse Verträge bestehen, durch 
deren Bruch wir uns in eine schwierige Lage bringen würden. Es weiß 
ebenso, daß es gewisse mögliche Entwicklungen des Kampfes zwischen ihm 
und Frankreich gibt, die die öffentliche Meinung aufreizen könnten und 
uns von dem gegenwärtigen Entschluß, wenn irgend möglich neutral zu 
bleiben, abbringen könnten. Das Blatt wendet sich dann gegen die Idee,
	        
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