Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

1010 Asien. (September 5.) 
Kaiserliche Regierung ernstlich auf eine schnelle Beendigung des Kampfes 
und eine baldige Wiederherstellung des Friedens hofft. Ist das aber un- 
möglich und muß dieser Krieg unglücklicherweise sich lange hinziehen, so 
hofft die Kaiserliche Regierung, daß das Kampfgebiet sich nicht über die 
tatsächlich im Kampfe stehenden Länder hinaus erstrecken werde, und dann 
glaubt die Kaiserliche Regierung ihre Haltung strikter Neutralität wahren 
zu können. Immerhin wird es nötig sein, den weiteren Verlauf der An- 
gelegenheit mit allergrößter Aufmerksamkeit zu verfolgen. Für den Fall, 
daß England in den Konflikt verwickelt und das englisch-japanische Bündnis 
in Frage kommen sollte, mag Japan Maßnahmen ergreifen, wie sie ihm 
zur Erfüllung der aus dem Bündnis ihm zufallenden Verpflichtungen nötig 
erscheinen. Ob ein solches Vorgehen nötig werden wird, kann zurzeit nicht 
vorausgesagt werden. Die Kaiserliche Regierung widmet daher, wenn auch 
ernstlich hoffend, daß eine solche Gelegenheit, wie oben angedeutet, sich nicht 
ergeben möge, verschiedenen Seiten der Situation die allergrößte Aufmerk- 
samkeit.“ Aus dieser Erklärung geht deutlich hervor, daß die Koaiserliche 
Regierung von Anbeginn hoffte, daß die Wirkungen des europäischen Krieges 
sich nicht bis auf Ostasien erstrecken würden. Wie aber oben gezeigt, war 
schließlich England zur Teilnahme am Kampfe gezwungen, und im ersten 
Teil des August ersuchte England die Kaiserliche Regierung um ihren Bei- 
stand entsprechend den Bestimmungen des englisch-japanischen Bündnisses. 
Zu jener Zeit kreuzten deutsche Kriegsschiffe und Hilfskreuzer in den ost- 
asiatischen Gewässern und bedrohten unseren und unseres Verbündeten 
Handel schwer, während gleichzeitig in Kiautschou, dem deutschen Pacht- 
gebiet in China, kriegerische Vorbereitungen getroffen wurden, deren Zweck 
offenbar war, den Platz zur Basis der deutschen Operationen in Ostasien 
zu machen. Schwere Befürchtungen wegen der Aufrechterhaltung des 
Friedens im fernen Osten mußten daher gehegt werden. Wie Ihnen allen 
bekannt ist, ist der Zweck des japanisch-englischen Bündnisses die Festigung 
und Aufrechterhaltung des allgemeinen Friedens in Ostasien, zugleich die 
Sicherung der Unabhängigkeit und Integrität Chinas und des Prinzips 
der Gleichberechtigung für Handel und Industrie aller Bölker in diesem 
Lande, weiterhin die Erhaltung und Verteidigung der territorialen Rechte 
und der besonderen Interessen der Verbündeten in Ostasien. Deshalb und 
besonders weil von seinem Verbündeten um Hilfe angegangen zu einer 
Zeit, wo der Handel in Ostasien, den Japan und England als eines ihrer 
speziellen Interessen ansehen, ständiger Bedrohung unterliegt, konnte Japan, 
das in jenem Bündnis das Grundprinzip seiner auswärtigen Politik er- 
blickt, nicht anders handeln, als dem Ersuchen stattzugeben und seinen Teil 
zu tun. Obendrein bedeutet es nach Ansicht der Regierung ein ernsthaftes 
Hindernis der Aufrechterhaltung dauernden Friedens in Ostasien, daß Deutsch- 
land, dessen Interessen denen des englisch-japanischen Bündnisses entgegen- 
gesetzt sind, in einer Ecke des fernen Ostens eine Basis für seine macht- 
volle Tätigkeit besitzt und weiterhin steht das auch im Konflikt mit den 
mehr unmittelbaren Interessen unseres eigenen Reiches. Die Regierung 
beschloß daher, dem Ersuchen Englands stattzugeben und, falls sich doraus 
die Notwendigkeit ergeben sollte, mit Deutschland zu kämpfen. Nach Sank- 
tionierung dieses Beschlusses durch den Kaiser wurde sofort der englischen 
Regierung davon Mitteilung gemacht. Voller und freier Austausch der 
Ansichten beider Regierungen folgte, und es wurde also beschlossen, die 
zum Schutze der im Bündnisvertrage aufgeführten allgemeinen Interessen 
notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Japan hatte weder Wunsch noch 
Neigung, in den gegenwärtigen Kampf verwickelt zu werden, es glaubte 
nur, es sich selbst schuldig zu sein, dem Bündnis treu zu bleiben und seine
	        
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