Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

1070 Anhans II. Niplematische Euthüllmsen. (Januar 16.— Juli 2.) 
faß leben muß, dessen Explosion durch eine Unvorsichtigkeit hervorgerufen 
werden könnte.“. 
Nr. 112. Baron Guillaume, Gesandter Belgiens in Paris, an 
Herrn Davignon, Minister des Neußeren. Paris, den 10. März 19141. 
Herr Minister! Mit Beginn der guten Jahreszeit wird der Präsident 
der Republik die Rundreise durch die verschiedenen Departements Frank- 
reichs wieder aufnehmen, in denen man nach seinem Besuch verlangt. Aus 
allen Gegenden des Landes lädt man ihn ein, und er nimmt faost immer 
diese Aufforderungen an, die ihm schmeicheln und seiner Politik nützlich sind. 
Er kennt den Zauber, den seine Persönlichkeit ausstrahlt, er ist sich des 
ständigen Erfolges seiner Rede bewußt. Seine Sprache ist immer geschickt 
und glänzend; er bereitet seine Ansprachen sorgfältig vor, in denen er 
Banalitäten vermeidet, sagt, was zu sagen ist, indem er in beredter Weise 
an die Vergangenheit der Gegenden, die er besucht, erinnert, eine genaue 
Kenntnis ihrer Bedürfnisse und ihrer Wünsche an den Tag legt und in 
diese Betrachtungen eine mehr oder minder chauvinistische und ermutigende 
Note einfließen läßt, die der Bevölkerung schmeichelt.. Es ist für nie- 
mand ein Geheimnis, daß der Sturz des Kabinetts Barthou dem Pre- 
sidenten der Republik sehr peinlich war. Er war sich über seine Bedeutung 
nicht im unklaren und verstand genau, daß seine eigene Person gemeint 
war. Der Umstand, daß er sich infolge des Abfalls einiger politischer Per- 
sönlichkeiten, auf die er rechnen zu können glaubte, gezwungen sah, die 
Macht Herrn Caillaux zu übertragen, indem er sie nominell Herrn Dou- 
mergue anvertraute, hat ihn stark verstimmt. Die Persönlichkeit des Finanz- 
ministers, dessen Verdienste er ebenso gut kennt, wie alle seine Schwächen, 
ist ihm höchst antipathisch. Er sah darin einen Mißerfolg der militaristischen 
und nationalistischen Politik, die er systematisch schon seit dem Tage ver- 
sicht, an dem er als Ministerpräsident an die Spitze der Regierung gestiellt 
worden war. Zusammen mit den Herren Delcasséê, Millerand 
und einigen anderen predigte er unablässig die politische und 
militärische Wiederaufrichtung Frankreichs im Berein mit der 
Schaffung engerer vertrauensvollerer Beziehungen zu Ruß- 
land. Er ging als Ministerpräsident nach Petersburg; in einigen Monaten 
wird er als Präsident der Republik dorthin zurückkehren. Er schickte kürz- 
lich Herrn Delcassec dorthin, den er mit der Mission beauftragt hatte, mit 
allen Mitteln die Wohltaten der französisch-russischen Allianz zu unter- 
streichen und das große Kaiserreich zu einer Vergrößerung seiner militä- 
rischen Vorbereitungen zu veranlassen. Man behauptet heute, daß Herr 
Delcassé den Bogen etwas überspannt habe, daß seine Mission nicht ge- 
glückt sei, daß er durch sein Drängen die hohen moskowitischen Kreise ver- 
stimmt habe und daß seine etwas vorzeitige Rückkehr jedenfalls zum Teil 
auf den geringen Erfolg zurückzuführen sei, den er in Petersburg per- 
sönlich gehabt habe. 
Nr. 113. Baron Beyens, Gesandter Belgiens in Berlin, an Herrn 
Davignon, Minister des Aeußeren. Berlin, den 24. April 1914. Herr 
Minister! Die Presse hat sich ebenso wie die politischen Kreise Berlins 
notwendigerweise mit dem Besuch des englischen Herrscherpaares 
in Paris beschäftigt, und es bedurfte nichts Geringeren als der letzten 
Ereignisse in Mexiko, um ihre Aufmerksamkeit von diesem Schauspiel ab- 
zuziehen. Man fand hier übereinstimmend die Bemühungen gewisser fran- 
zösischer Publizisten sehr ungeschickt, die darauf hinzielten, die britische 
Regierung dazu zu bewegen, die Entente cordiale in ein wirkliches Bündnis 
zu verwandeln; sowohl die liberalen als auch die konservativen Berliner 
Journalisten stellten ihren Mißerfolg mit wahrhafter Freude fest. Herr
	        
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