Anhang II. Biplomatische Enthüllungen. (Anfang November.) 1079
ich habe Grund, es zu glauben, so muß man daraus ohne Zweifel den
Schluß ziehen, daß das etwaige Zusammenwirken der russischen Ostseeflotte
mit den englischen Nordseegeschwadern für den Fall eines europäischen
Krieges von dem russischen Marineminister, dem Admiral Gregorowitsch,
mit der britischen Admiralität geprüft worden ist und geprüft werden wird.
Allerdings hat erst kürzlich im Unterhause auf eine Frage des radikalen
Abgeordneten King über die Vorbereitung oder den Abschluß einer englisch-
russischen Marinekonvention Sir Edward Grey geantwortet: „Wenn zwischen
den europäischen Mächten Krieg ausbräche, so bestehe kein geheimes Ein-
vernehmen, das die Freiheit der Regierung oder des Parlaments be-
schränken oder einengen könnte, wenn es sich darum handeln würde, über
die Teilnahme Englands an den Feindseligkeiten zu entscheiden.“ Vor
einem Jahr hat Herr Asquith mit Beziehung auf ein französisch-englisches
Bündnis die gleiche Sprache geführt. Es ist aber bekannt, daß die amt-
lichen Erklärungen der englischen Minister immer buchstäblich genommen
und im engsten Sinne ausgelegt werden müssen. Man muß also ein-
räumen, daß kein diplomatisches Schriftstück vorhanden ist, das England
förmlich verpflichtet, für diesen oder jenen bestimmten Fall seine Heere und
seine Flotten mit denen Frankreichs und Rußlands zu verbünden. Aber
es ist darum nicht weniger gewiß, daß militärische Abmachungen, die
zwischen den Armee= und Marinestäben dieser drei Mächte zustande ge-
kommen sind, mit Genauigkeit die Beteiligung der britischen Streitkräfte
an dem Kampfe zu Lande und zur See für den Fall regeln, daß Regie=
rung und Parlament in England die Teilnahme an den Feindseligkeiten
beschließen sollten. Und ferner: Wie groß die Zuneigung der englischen
Radikalen für Deutschland und ihre Abneigung gegen Rußland sein mag,
sicherlich würde Eugland sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen,
die ihm ein europäischer Krieg für die Vernichtung und Schwä-
chung des einzigen ernstlichen Nebenbuhlers um die Seeherr-
schaft bieten würde.
Anfang November. Brief Kaiser Wilhelms an Lord Tweed-
mouth über die „deutsche Gefahr“ vom 14. Februar 1908.
Am 6. März 1908 hatte der militärische Mitarbeiter der „Times“
festgestellt, daß Kaiser Wilhelm jüngst in einem Brief an Lord Tweed-
mouth, den Ersten Lord der Admiralität, den Versuch gemacht habe, „den
für die englische Seegeltung verantwortlichen Beamten im deutschen Interesse
zu beeinflussen". Diese Feststellung gab damals Anlaß zu vielen Aus-
einandersetzungen in Parlament und Presse, der Brief wurde aber trotz
dringenden Verlangens nicht veröffentlicht. Jetzt geben ihn die „Times"
im Wortlaut wieder. Der Kaiser nimmt darin die englische Preßpolemik
über das deutsche Flottengesetz, das als „deutsche Gefahr“ und eine
„deutsche Herausforderung der britischen Vorherrschaft zur See“ bezeichnet
wurde, zum Anlaß, um dem Admiral seine eigenen Ansichten darüber vor-
zutragen und der schlechten Wirkung derartiger Schlagworte zu begegnen.
Der Kaiser bezeichnet die der Flottenvorlage zugeschriebene Absicht als
völlig unsinnig und unwahr und betont, daß das Gesetz vom Reichstag
genehmigt und zehn Jahre früher veröffentlicht wurde, überdies bei jedem
Buchhändler zu kanfen sei. Es sei keine Ueberraschung, kein Geheimnis
und keine Hinterlist darin. „Unser jetziges, in der Ausführung begriffenes
Programm“, sagte der Kaiser, „ist praktisch nur ein Austausch alten Ma-
terials gegen neues, aber keine Vermehrung der Zahl der Einheiten, die
ursprünglich vor zehn Jahren in dem Gesetz vorgesehen waren. Es scheint
mir, daß der Hauptfehler der Zeitungsauseinandersetzungen die andauernde