Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Auhaus II. Biplomatische Euthälnnzen. (Dezember 1.) 1083 
geeignet. Immer mehr versammeln sich dort die Gebildeten der moham- 
medanischen Welt. 
Mit allen möglichen Mitteln müssen wir stark zu sein trachten, so 
daß wir mit Anspannung unserer Kräfte unsere Feinde im Osten und Westen 
vernichten können. In dem kommenden europäischen Krieg jedoch müssen 
auch die Kleinstaaten gezwungen werden, uns zu folgen, oder sie müssen 
bezwungen werden. Unter gewissen Umständen würden ihr Heer und ihre 
Festungen leicht und schnell bewältigt oder neutral gemacht werden können. 
Dieses könnte vielleicht der Fall mit Belgien und Holland sein, um auf 
diese Weise unsere wirklichen Feinde zu verhindern, sich eine Operations- 
basis gegen unsere Flanke zu bilden. Im Norden haben wir nichts von 
Dänemark oder von den skandinavischen Staaten zu befürchten. Wir haben 
um so weniger etwas zu befürchten, als wir in jedem Falle für die Zu- 
sammenziehung eines starken Heeres im Norden sorgen werden, das jeder 
feindlichen Absicht von ihrer Seite entgegentreten kann. Im schlimmsten Fall 
könnte Dänemark durch England gezwungen werden, seine Neutralität auf- 
zugeben, allein zu dem Zeitpunkt würde die Entscheidung zu Land und zur 
See schon gefallen sein. Unser nordisches Heer muß stark, vielleicht durch 
niederländische Truppen beträchtlich vermehrt werden, damit wir jedem aus 
dieser Richtung kommenden Angriff kräftig Widerstand bieten können. Nach 
Süden bildet die Schweiz ein starkes Bollwerk, und wir können darauf 
rechnen, daß sie ihre Neutralität gegen Frankreich kräftig verteidigen und 
dadurch diese Flanke decken wird. Wie oben erwähnt, kann die Lage in 
Ansehung der kleinen Staaten an unserer nordwestlichen Grenze nicht in 
demselben Licht betrachtet werden. Dort handelt es sich für uns um eine 
Sache von vitalem Belang, und unser Ziel muß dahin gehen, die Offensive 
sofort und mit großer Uebermacht zu beginnen. Dafür wird es nötig sein, 
ein großes Heer zusammenzuziehen, dem beträchtliche Streitkräfte der Land- 
wehr folgen werden; wir werden die kleinen Staaten zwingen, mit uns zu 
gehen, oder doch wenigstens untätig zu bleiben, und wir werden sie im 
Falle bewaffneten Widerstandes zerschmettern. Wenn diese Staaten veranlaßt 
werden könnten, ihr Befestigungssystem so einzurichten, daß eine zweckmäßige 
Deckung unserer Flanke erreicht würde, so könnte der Plan für einen Ein- 
bruch aufgegeben werden. Allein dann wäre es auch wohl ebenfalls nötig, 
namentlich was Belgien angeht, daß das Heer solchermaßen eingerichtet 
würde, daß es eine ernstliche Bürgschaft für einen zweckdienlichen Wider- 
stand böte. Wenn jedoch im andern Falle die defensive Einrichtung des 
Landes gegen uns gerichtet würde, was ja alsdann für unsern westlichen 
Gegner einen Vorteil böte, so würden wir Belgien keine einzige Bürgschaft 
für die Erhaltung seiner Neutralität bieten können. Da liegt nun ein 
großes Arbeitsfeld für unsere Diplomatie, um für unsere Interessen in dem 
Lande zu wirken. Die vorhandenen Pläne berechtigen zu der Erwartung, 
daß die Offensive unmittelbar unternommen werden kann, sobald die Zu- 
sammenziehung des Heeres am Niederrhein vollzogen ist. Ein kurz befristetes 
Ultimatum, dem unmittelbar der Einfall folgen würde, würde uns in den 
Stand setzen, unser Auftreten vom Standpunkt des Völkerrechts ausgiebig 
zu rechtfertigen. 
Das sind die Aufgaben unseres Heeres, sie erfordern eine große Ist- 
stärke. Wenn der Feind uns angreifen oder wir ihn unterwerfen sollen, 
so müssen wir handeln wie unsere Väter vor hundert Jahren. Der Adler 
wird seinen Flug nehmen und den Feind mit seinen geschärften Klauen 
ergreifen und ihn unschädlich machen. Wir werden dessen eingedenk sein, 
daß die Provinzen des alten Deutschen Reiches, die Grasschaft Burgund und 
ein großes Stück Lothringen sich noch in den Händen der Franzosen be-
	        
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