1084 Aubans II. Diplematische Enthüllunsen. (Dezember 1.)
finden, daß Tausende unserer deutschen Brüder in den baltischen Provinzen
unter dem slawischen Joch seufzen. Es ist eine nationale Frage, daß Deurlich-
land sein früherer Besitz zurückgegeben wird.
Nr. 5: Bericht an den Minister des Aeußern Pichon über die
öffentliche Meinung in Deutschland, nach den Berichten der diple-
matischen und Konsularagenten (datiert: Paris, 30. Juli 1913):
Laut den Mitteilungen, die unsere Agenten in Deutschland von
Personen erhalten haben, die in der Lage sind, in den verschiedensten
Kreisen zu verkehren, ist die Annahme berechtigt, daß die Stimmung in
Deutschland durch zweierlei Gefühle beherrscht und angespornt wird. Zum
ersten hielt man den Vertrag vom 4. November 1911 für eine von Deutsch-
land erlittene Niederlage. Zweitens glaubt man, daß Frankreich — ein
neues Frankreich —, dessen Bestehen man vor dem Sommer 1911 nicht
vermutet hatte, kriegstüchtig ist und auch nach einem Kriege verlangt.
Im Juli 1911 ist mit dem Fall von Agadir tatsächlich zum ersten Maie
die Marokkofrage als eine nationale Frage erschienen, die für den Bestand
und die Ausdehnung des Deutschen Reiches für wichtig galt. Die Ent-
hüllungen und Preßprozesse, welche die Folge davon waren, haben zwar
zur Genüge ergeben, wie der Feldzug geregelt war, welche alldeutschen
Begierden er angefacht und welches Mißbehagen er zurückgelassen hatre.
Wenn die Person des Kaisers umstritten, der Kanzler nicht populär ist,
so war im vorigen Winter Herr v. Kiderlen der bestgehaßte Mann in
ganz Deutschland, er fängt jedoch an, nur noch mißachtet zu sein, denn
er läßt durchblicken, daß er Rache üben werde.. Einige verlangen den
Krieg, weil er im Hinblick auf die gegenwärtigen Umstände „unver-
meidlich" sei und weil er für Deutschland lieber früher als später
kommen soll; andere halten ihn aus wirtschaftlichen Ursachen, wie Ueber-
völkerung, Ueberproduktion, Bedarf an Märkten und Absatzgebieten, sowie
aus sozialen Gründen für notwendig, weil nach ihrer Meinung durch eine
Ableitung nach außen hin die Machtausbreitung der Demokratie und der
sozialistischen Massen verhindert oder hinausgeschoben werden könne. Andere
wieder, die nicht genug auf die Zukunft des Reiches vertrauen, und glauben,
daß die Zeit zum Besten Frankreichs arbeite, sind der Ansicht, daß die
Ereignisse beschleunigt werden müßten ... Wieder andere sind kriegssüchtig
aus ihren Bismarckschen Anschauungen heraus. Sie empfinden es als eine
Erniedrigung, daß man mit Frankreich einen Gedankenaustausch bei Unter-
handlungen und Konferenzen haben solle, wo man seine Meinung nicht
immer leicht durchzusetzen vermag, dieweil man doch über erdrückende Macht
verfüge. Sie schöpfen bis aus der neuesten Geschichte, die andauernd heran-
gezogen wird, zur Erinnerung für die Lebenden, deren Inhalt in Ge-
sprächen und Büchern fortwährend angeführt wird. Die Ereignisse der
letzten Jahre sind ihnen zuwider; andere endlich wollen den Krieg aus
Frevelmut. Letztere suchen nach Vorwänden für einen Krieg. Alle diese
Empfindungen finden folgendermaßen ihre Aeußerung: Die im Reichstag
durch die konservative Partei vertretenen Junker wollen um jeden Preis
die Erbschaftssteuer vermeiden, die unvermeidlich wäre, wenn der Frieden
anhielte. In der letzten Versammlung der eben abgeschlossenen Tagung ijt
der Grundsatz dieser Steuer gutgeheißen worden. Dies ist ein schwerer
Schlag für die Interessen und Vorrechte des Landadels. Anderseits bildet
dieser Adel die militärische Aristokratie, und es ist belehrend, die Offiziers-
rangliste mit der Adelsliste zu vergleichen. Nur ein Krieg kann sein An-
sehen befestigen und seine Familienintereffen fördern. Diese Gesellschafts-
klasse, die eine Hierarchie bildet, an deren Spitze der König von Preußen
steht, blickt mit Abscheu auf die Demokraten Deutschlands und die zu-