Anhang D. Diplematisqe Euhũlnugen. (Dezember 1.) 1085
nehmende Macht der sozialistischen Partei, deren Tage sie für gezählt hält.
Nicht nur werden ihre materiellen Interessen durch eine gut geleitete Be-
wegung gegen den agrarischen Schutzzoll bedroht, sondern auch ihre Ver-
tretung im Parlament wird mit jeder Legislatur geringer. Die höhere
Bürgerschaft, die in den Nationalliberalen — die Partei der Satisfaits —
vertreten ist, hat zwar nicht dieselben Ursachen, um zum Krieg zu drängen,
ist jedoch mit einzelnen Ausnahmen kriegssüchtig. Auch sie hat dafür
Gründe gesellschaftlicher Art. Der begüterte Mittelstand leidet nicht weniger
als der Adel unter der Demokratisierung Deutschlands. 1871 hatte er im
Reichstag 125 Vertreter. 1874 waren es 155, 1887: 99, 1912: 45. .. Endlich
kommen in Betracht Geschützgießer und Panzerplattenfabrikanten, die Groß-
kaufleute, die nach weiteren Märkten schreien, und die Bankiers, die auf
das Goldene Zeitalter und die Kriegsentschädigung rechnen. Sie sind der
Meinung, daß der Krieg ein vorteilhaftes Geschäft sein würde... Die Staats-
wissenschaftler erscheinen mit statistischen Aufstellungen, um zu beweisen, daß
Deutschland ein koloniales und geschäftliches Reich braucht, das mit den
industriellen Leistungen des Reiches im Verhältnis übereinstimmt. Es gibt
träumerische Sozialpolitiker, die weitergehen. Nach ihnen ist der bewaffnete
Friede eine erdrückende Last für die Völker. Er verhindert eine Ver-
besserung des Loses des großen Haufens und spielt dem Sozialismus in
die Hand. Frankreich, das hartnäckig nach der Revanche ruft, ist ein Gegner
der Abrüstung. Ein für allemal muß Frankreich auf 100 Jahre zur Macht-
losigkeit verurteilt werden. Das ist die beste und schnellste Art, das soziale
Problem zu lösen.
Nr. 6: Bericht des Botschafters Jules Cambon an den Minister
Pichon (datiert: Berlin, 22. November 1913) über eine Unterredung zwischen
Kaiser (Bietem, König Albert von Belgien und dem General Moltke:
Ich habe aus durchaus sicherer Quelle einen Bericht über eine
Unterredung erhalten, die, wie es heißt, zwischen dem Kaiser und dem König
der Belgier in Gegenwart des Generalstabschefs v. Moltke vor 14 Tagen
stattgefunden haben soll, und die, wie es scheint, den König Albert sehr
betroffen hat. Ich bin über diesen Eindruck keineswegs überrascht, da er
ganz mit einem Eindruck übereinstimmt, den ich selbst vor einiger Zeit
empfangen habe. Die Feindseligkeit gegen uns ist deutlicher hervorgetreten.
Der Kaiser hat aufgehört, ein Befürworter des Friedens zu sein. Der
Teilnehmer an dem Gespräch dachte bis dahin, wie jedermann, daß Kaiser
Wilhelm II., dessen persönlicher Einfluß in so vielen kritischen Lagen zu-
gunsten der Erhaltung des Friedens eingesetzt worden war, noch derselben
Ansicht sei. Diesmal, scheint es, sand er ihn ganz verändert. Der deutsche
Kaiser ist in seinen Augen nicht länger der Vorkämpfer des Friedens wider
die kriegssüchtigen Neigungen einzelner Parteien. Wilhelm II. ist dahin ge-
langt, an3zunehmen, daß ein Krieg mit Frankreich unvermeidlich sei und
daß er über kurz oder lang kommen müsse. Der Kaiser — es braucht
kaum gesagt zu werden — glaubt an ein unüberwindliches Uebergewicht
des deutschen Heeres und ist der Erfolge dieses Heeres sicher.
General v. Moltke sprach in derselben Weise wie sein Herrscher. Er
erklärte ebenfalls, daß der Krieg nötig und unvermeidlich sei, zeigte sich
aber noch siegesgewisser. „Denn dieses Mal“, sagte er zu dem König,
„müssen wir ein Ende machen und Eure Majestät können sich keine Vor-
stellung davon machen, welch unwiderstehliche Begeisterung an dem Tage
das gesamte deutsche Volk hinreißen wird.“ Der König der Belgier warf
ein, daß eine derartige Auslegung der Absicht der französischen Regierung
eine Entstellung dieser Absicht darstelle und daß man sich mit Bezug auf
die Gefühle des französischen Volkes durch die Aeußerungen einiger Hitz-