Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Nebersicht über die politische Eutwichlung des Jahres 1911. 1091 
nügend berücksichtige, da ihr die Inseln, die einen integrierenden 
Bestand des asiatischen Besitzes bildeten, verweigert würden; sie müsse 
es sich daher vorbehalten, ihre gerechten und legitimen Forderungen 
in geeigneter Weise ferner zur Geltung zu bringen (S. 859). Damit 
war der Grund für eine türkisch-griechische Verstimmung gelegt, die 
beinahe zu kriegerischen Verwicklungen geführt hätte, wenn nicht 
beide Staaten an den Nachwehen der Balkankriege schwer genug zu 
tragen gehabt hätten. Durch die Note der Großmächte vom 24. April 
wurde Griechenland die angeregte Grenzberichtigung in Albanien 
zugestanden und ihm zugleich die Versicherung gegeben, daß die 
Mächte ihren freundschaftlichen Einfluß auf die Türkei dahin aus- 
üben würden, daß Griechenland im Besitz der ihm zugebilligten 
Inseln nicht gestört werde (S. 935 f.). Mit dieser Entscheidung war 
die Inselfrage als Gegenstand der europäischen Politik erledigt; auf 
ihre weitere Entwicklung wird später noch einzugehen sein (S.1188 ff.). 
Betrachtet man im besondern das Verhältnis der jetzt als 
Todfeinde sich bekämpfenden Großmächte in der ersten Jahreshälfte, 
so findet man es eigentümlicherweise durch eine Reihe wichtiger 
Verhandlungen gekennzeichnet, die darauf abzielten, bestehende 
Differenzen zu heben oder künftigen vorzubeugen. Hier ist zunächst 
des am 15. Februar in Berlin unterzeichneten deutsch-französischen 
Abkommens über die kleinasiatischen Bahnen zu gedenken, das Frank- 
reich eine beträchtliche Betätigungssphäre in Syrien sicherte (S.6634 f.). 
Zwischen Frankreich und der Türkei kam am 9. April ein sehr weit- 
gehender Anleihevertrag zustande, der die Beziehungen beider Länder 
auf eine neue, entwicklungsfähige Grundlage stellte (S. 649 f.). Ruß- 
land und die Türkei einigten sich im Februar über die ostanatolische 
Reformfrage, wobei den Wünschen Rußlands in weitem Umfange 
Rechnung getragen wurde (S. 858). Die höchste weltpolitische Be- 
deutung eignete endlich dem am 15. Juni in London abgeschlossenen analson 4„ 
deutsch-englischen Abkommen über die Weiterführung der Bagdad-ppannung. 
bahn (S. 539) und der zwischen den beiden Großmächten ungefähr 
gleichzeitig erzielten Verständigung über die Teilung des afrikanischen 
Besitzes, deren Veröffentlichung bei Kriegsausbruch unmittelbar be- 
vorstand. Besonders die letztgenannten Verhandlungen, in denen die 
seit dem Ende der Balkankriege unftreitig vorhandene englisch-deutsche 
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