Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Mebersicht über die politische Entwichlung bes Jahres 1914. 1133 
die deutsche und die französische Regierung die Anfrage, ob sie die 
Neutralität Belgiens achten würden, solange als keine andere 
Macht sie verletze. Frankreich antwortete mit heuchlerischer Be- 
flissenheit sofort bejahend; der Vertreter der deutschen Regierung 
erklärte dem britischen Botschafter ehrlich, er müsse den Kaiser und 
den Kanzler befragen, ehe es ihm möglich sei, zu antworten, und 
der Botschafter schloß daraus, daß eine bestimmte Antwort bis zu 
einem gewissen Grade den deutschen Feldzugsplan enthüllen müßte. 
Immerhin lag am 1. August eine endgültige Ablehnung von deutscher 
Seite noch nicht vor. Gleichwohl versprach Grey dem französischen 
Botschafter an diesem Tage, er werde vom Ministerrate die Er- 
klärung verlangen, daß die englischen Geschwader einer Durchfahrt 
der deutschen Flotte durch den Kanal sich widersetzen werden oder, 
falls sie stattfinde, jeder Demonstration an den französischen Küsten. 
An einer Billigung dieser Erklärung war bei dem übergewicht der 
Kriegspartei im Kabinett nicht zu zweifeln. Wie peinlich mußte 
Grey deshalb am Nachmittage des gleichen Tages die Anfrage des 
deutschen Botschafters empfinden, ob England neutral bleiben werde, 
wenn Deutschland die Respektierung der Neutralität Belgiens ver- 
spreche. Er verweigerte nicht nur darüber jede bestimmte Erklä- 
rung, sondern lehnte es auch endgültig ab, allgemeine Bedingungen 
für die Neutralität Englands zu formulieren, selbst für den Fall, 
daß Deutschland die Integrität Frankreichs und seiner Kolonien 
garantiere. Auch der am nämlichen Tage dem deutschen Botschafter 
mitgeteilte Vorschlag betr. eine Garantie der Neutralität Frank- 
reichs durch England im Falle eines deutsch-russischen Krieges wurde 
von Grey wieder zurückgezogen, sobald durch die sofort erteilte Zu- 
stimmung der deutschen Regierung die Möglichkeit seiner Verwirk- 
lichung gegeben war. Wohl war die Stimmung im Kabinett auch 
jetzt noch nicht einhellig, so daß es Grey in der entscheidenden Sitzung 
am Morgen des 2. August nicht wagen durfte, die deutschen An- 
gebote, die England die Bewahrung der Neutralität ermöglicht 
hätten, bekannt zu geben. Immerhin bleibt es mehr als zweifel- 
haft, ob die Bekanntgabe der deutschen Bedingungen den Gang der 
Ereignisse wesentlich beeinflußt hätte. Die konservative Partei, die 
trotz des nominell liberalen Ministeriums die Haltung der Re- 
Englands 
Hilfe- 
versprechen 
an 
Frankreich.
	        
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