Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Kriegs- 
beginn. 
1138 Uebersicht über die pelitische Eutwichlung des Jahres 1914. 
ihrem lebhaften Bedauern gezwungen, die gegenüber den französischen 
Drohungen als notwendig erschienenen Schutzmaßnahmen mit Waffen- 
gewalt durchzuführen. Als daraufhin deutsche Truppen in der Frühe 
des 4. August in Belgien einrückten, brach die belgische Regierung 
die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab und richtete einen 
Appell an die Garantiemächte England, Frankreich und Rußland, 
nachdem bereits am vorhergehenden Tage König Albert telegraphisch 
den englischen König um die diplomatische Intervention der britischen 
Regierung ersucht hatte (S. 757). Nach dem Fall der Festung Lüt- 
tich, durch deren tapfere Verteidigung der belgischen Waffenehre 
Genüge geschehen war, erklärte sich die deutsche Regierung noch ein- 
mal zu jedem Abkommen mit Belgien bereit, das sich irgendwie 
mit Rücksicht auf ihre Auseinandersetzung mit Frankreich vereinigen 
lasse. Aber auch dieses Anerbicten, das die Integrität des König- 
reiches voll gewährleistet hätte, wurde von der belgischen Regierung 
bedingungslos zurückgewiesen (S. 760). Sie schloß sich vielmehr offen 
der Entente an und erhielt am 21. August von der britischen Re— 
gierung die Zusicherung, sie werde sich bei dem künftigen Friedens- 
schluß dafür einsetzen, daß Belgien für die erlittenen Unbilden ge- 
bührend entschädigt werde. 
In dem ruhigen Bewußtsein seines ehrlichen Friedenswillens, 
in dem festen Vertrauen auf die Gerechtigkeit seiner Sache, in der 
stolzen Zuversicht auf die todesfreudige Tapferkeit seines schlagfertigen 
Heeres ist Alldeutschland in den ihm frevelhaft aufgedrungenen 
Krieg eingetreten. Alle inneren Streitfragen, alle Parteigegensätze, 
alle wirtschaftlichen Forderungen und Beschwerden, die in satten 
Friedensjahren so viele edle Kräfte zermürbt und verzehrt hatten, 
waren mit einem Schlage vergessen, ausgelöscht, aufgesogen von 
dem einen übermächtigen Gefühle, das alle Klassen, Stände und 
Bildungsschichten mit der gleichen unwiderstehlichen Gewalt erfaßte 
und zu einer unlösbaren, unüberwindlichen Einheit zusammen- 
schweißte, von dem einen Gefühle, daß es sich in dem anhebenden 
Kampfe nicht um materielle Gewinne oder Verluste handle, son- 
dern um die heiligsten Güter der Nation, ihre Ehre, ihre Selb- 
ständigkeit, ihre Zukunft, um Sein und Nichtsein deutscher Macht 
und deutschen Wesens. Niemand erwog auch nur im geheimen die
	        
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