Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Mebersicht über die politische Eutwichlung bes Jahrrs 1914. 1139 
Möglichkeit, ob Deutschland in dem österreichisch-russischen Konflikte 
sich hätte abseits halten und der in ihrem Dasein aufs schwerste 
gefährdeten Monarchie die versprochene Waffenhilfe hätte verweigern 
können. Die Politikern längst vertraute Erkenntnis, daß das Schick- 
sal des Kaiserstaates untrennbar mit unserem eigenen verknüpft ist 
und sein Niedergang unser eigenes Verderben bedeutet, wurde plötz- 
lich zum Gemeingut des deutschen Volkes, und diese allenthalben 
sieghaft sich durchsetzende überzeugung von der Notwendigkeit und 
Unabänderlichkeit des kommenden Entscheidungskampfes schuf eine 
Gemeinsamkeit des völkischen Empfindens, das unbedenklich und 
rückhaltlos alle Kräfte der Nation für das eine Ziel, die Ver- 
teidigung des frevlerisch herausgeforderten Vaterlandes, einsetzte. In 
der Reichstagssitzung des 4. August hat dieser einige entschlossene 
Opferwille des deutschen Volkes einen für alle Zeiten denk= und 
verehrungswürdigen Ausdruck gefunden (S. 382 ff.). 
Wie sich ganz Deutschland mit unbedingtem Treuegelöbnis 
um seinen geliebten Kaiser scharte, so folgten auch die Völker der 
vielsprachigen Doppelmonarchie einmütig und freudig dem Rufe 
ihres ehrwürdigen Herrschers. Vor dem eisernen Gebote der Pflicht 
verstummte auch hier jeder kleinliche Parteihader. In unerschütter- 
licher Waffenbrüderschaft vereint waren Deutschland und 
Ofterreich-Ungarn entschlossen, das fünfunddreißigjährige Bünd- 
nis auch auf dem Schlachtfelde in gemeinsamem Kampfe gegen 
„jeden Feind“ zu besiegeln. Am 6. August erklärte Osterreich-Ungarn 
an Rußland (S. 481) und Serbien an Deutschland den Krieg; am 
7. wurde die Kriegserklärung Montenegros in Wien überreicht; 
am 10. erfolgte der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen 
Frankreich und Österreich-Ungarn, am 11. trat der Kriegszustand 
zwischen Deutschland und Montenegro, am 13. zwischen Frankreich= 
England und ÖOsterreich-Ungarn (S. 482), am 28. zwischen Oster- 
reich-Ungarn und Belgien (S. 483) ein. 
Leider haben diese Tage, in denen sich die Bismarckische Idee 
des Zweibundes so glänzend bewährte, auch die Auflösung des 
Bundes gebracht, durch den der Altreichskanzler sein Werk zu krönen 
glaubte. In der Stunde der Not hat Italien seinen Verbündeten 
die Treue gebrochen. Die Verwandlung aus einem lauen Bundes- 
727 
Italiens 
Treubruch.
	        
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