Nebersicht üher die politische Entwiclung des Jahres 1914. 1153
welch starke, frischsprudelnde Kräfte in diesem Staatswesen, das
ehedem als der „kranke Mann“ unterdrückt und entrechtet wurde,
noch verborgen waren und unter zielbewußter Leitung zur Ent-
wicklung gebracht werden konnten. Im Kaukasus begann, nachdem
die von Kars auf Erzerum vorgegangenen russischen Abteilungen
zurückgeworfen waren, der türkische Vormarsch, der bis in die Nähe
von Batum vordrang und am Jahresende zur Einnahme des wich-
tigen Straßenknotenpunktes Ardahan in Russisch-Armenien führte.
Auch in der persischen Provinz Aserbeidschan, die trotz der Proteste
der persischen Regierung in den Krieg hineingezogen worden war,
wurden die Russen zum Rückzug gezwungen. Die Operationen gegen
den Suezkanal und Agypten wurden durch die Besetzung der Grenz-
festung El-Arisch am 10. November günstig eingeleitet. Im Persischen
Golfe gelang es den Engländern, sich in Basra festzusetzen; an ein
weiteres Vordringen war hier jedoch vorerst nicht zu denken. Die
Unternehmungen der englisch-französischen und der russischen Flotte
blieben völlig ergebnislos.
Im Deutschen Reiche war die in den letzten Wochen des hee
Jahres 1913 durch die Vorgänge in Zabern und die daran sich
knüpfenden Auseinandersetzungen im Reichstage und in der Tages-
prefse geschaffene Erregung des innerpolitischen Lebens im neuen
Jahre unverkennbar im Abflauen begriffen, wenngleich ihre Nach- nwe
wirkungen erst jetzt voll zur Geltung kamen. Der Entscheid des des Zabern=
Straßburger Kriegsgerichtes, das am 10. Januar nach eingehender falles.
Beweisaufnahme den Oberst v. Reuter von der Anklage der Frei-
heitsberaubung und des Hausfriedensbruches freisprach (S. 15), da
es sich auf den Standpunkt stellte, daß der Angeklagte nach seinen
Dienstvorschriften sich zum Einschreiten berechtigt gehalten, ihm so-
mit das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gefehlt habe, begegnete in
den Kreisen der Linken lebhaftem Widerspruche, zumal der Gerichts-
herr auf die Einlegung der Berufung verzichtete und das Urteil
dadurch ohne weiteres rechtskräftig wurde. In der Zweiten Kammer
des elsaß-lothringischen Landtages kam es wenige Tage später bei
einer Interpellationsdebatte über die Zaberner Vorgänge (S. 23 # ff.)
zu scharfen Ausfällen gegen die angeblich in Deutschland herrschende
Europäischer Geschichtskalender. LV. 73