Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Preußen. 
1160 Uebersicht über die politische Eutwiclung bes Jahres 1914. 
zu stimmen sich erdreistete. Von der sozialdemokratischen Reichstags- 
fraktion wurde dieser Disziplinbruch scharf gerügt (S. 440 f.). Zur 
Beratung der durch den Krieg angeregten Fragen sozialer, wirt- 
schaftlicher und innerpolitischer Art tagte vom 1.—3. Dezember eine 
aus Vertretern aller Parteien gebildete „Freie Kommission“ (S. 430, 
441). Die Opferwilligkeit des deutschen Volkes, aber zugleich auch 
die wirtschaftliche Stärke des Reiches bekundete der glänzende Er- 
folg der ersten Kriegsanleihe, auf die fast 4,5 Milliarden Mark 
gezeichnet und innerhalb vier Wochen über drei Milliarden ein- 
gezahlt wurden (S. 398g, 414). Auf den Erlaß eines Moratoriums 
konnte Deutschland als einziges der kriegführenden Länder verzichten 
(S. 389). Gegen die völkerrechtswidrige Behandlung von Deutschen 
im feindlichen Auslande und die Schädigungen deutscher wirtschaft- 
licher Interessen durch unsere Gegner wurden von der deutschen 
Regierung entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen (S. 428 f.). Die 
grundsätzlichen Verletzungen der Londoner Seekriegsrechtserklärung 
von 1909 durch England und Frankreich hat die deutsche Regierung 
in einer ausführlichen Denkschrift den neutralen Mächten dargelegt 
(S. 422 ff.). 
In Preußen übernahm am 9. Mai der frühere Chef der 
Reichskanzlei v. Loebell das Ministerium des Innern. Wegen seiner 
politischen Vergangenheit — er galt seinerzeit als Bülows „rechte 
Hand“ — wurde seine Ernennung von seiten der Linken als Zeichen 
eines inneren Kurswechsels begrüßt. Man glaubte in ihm geradezu 
den Minister für die kommende Wahlreform sehen zu dürfen. 
Bereits am 18. Mai gab ihm eine diesbezügliche Anfrage der Fort- 
schrittspartei (S. 305 ff.) Gelegenheit, nachdrücklich festzustellen, daß 
es die Regierung sich vorbehalte, einen Zeitpunkt für die Wieder- 
aufnahme der Wahlrechtsfrage zu bestimmen, nach dem die von 
ihr „eingeleitete gesetzgeberische Aktion an einem Mangel an Ent- 
gegenkommen des Haufes gescheitert“ sei. Dem Landtage, der am 
8. Januar eröffnet wurde, unterbreitete die Regierung eine Reihe 
volkswirtschaftlich wichtiger Vorlagen (S. 3 f.), deren Verabschiedung 
jedoch zumeist nicht gelungen ist. Lebhafte Auseinandersetzungen 
veranlaßte vor allem die von der Regierung geplante Neugestaltung 
des Fideikommißrechtes, die eine gewisse Einschränkung des fidei-
	        
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