Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Ssterreich- 
Ungarn. 
Der Irre- 
dentismus. 
1162 Nebersicht über die politische Eutwichlung des Jahres 1914. 
des „Theaters der Meininger", im Alter von 88 Jahren. Bei 
Kriegsausbruch zogen an der Seite der Söhne des Volkes, von 
denen an zwei Millionen sich freiwillig gestellt hatten, auch die 
Sprossen der deutschen Fürstenfamilien ins Feld. Drei Thronerben 
haben als Armeeoberbefehlshaber im ersten Kriegsmond die deutschen 
Waffen zum Sieg geführt, sieben Prinzen aus regierenden Häusern 
bis zum Jahresende ihr Leben für das Vaterland geopfert. 
über den Stand der auswärtigen Politik Österreich- 
Ungarns hat der Minister des Außern Graf Berchtold im aus- 
wärtigen Ausschuß der Reichsratsdelegation am 29. April einen 
eingehenden Bericht (S. 453 ff.) erstattet, der die dank der friedens- 
erhaltenden Tätigkeit des Wiener Kabinetts während der Balkan- 
krifis des Vorjahres erzielten guten Beziehungen zu allen euro- 
päischen Mächten nachdrücklich unterstrich. Diese optimistisch ge- 
färbte offizielle Darstellung war freilich mit den wirklichen Ver- 
hältnissen nur schlecht in Einklang zu bringen. Denn in Wahrheit 
sah sich der Kaiserstaat fast auf allen Seiten von mißgünstigen, 
chauvinistisch erregten Nachbarn umgeben, deren seit dem Balkan- 
kriege immer begehrlicher sich äußernden Sonderwünsche nur auf 
Kosten des territorialen Besitzes der Monarchie sich erfüllen konnten. 
Wie planmäßig und zielbewußt die Unterwühlung der österreichischen 
Staatsautorität insbesondere von Rußland betrieben wurde, dafür 
haben gerichtliche Feststellungen in dem großen Landesverratsprozeß 
von Marmaros-Sziget (S. 448, 449 f.) aufsehenerregende Beweise 
erbracht. Aber auch von rumänischer, serbischer und italienischer 
Seite wurde systematisch mit stillschweigendem Einverständnis der 
Regierungen auf die Schwächung und den Zusammenbruch des 
Habsburgerstaates hingearbeitet. Vorfälle wie die Bombenexplosion 
im Bischofspalaste zu Debreczin am 3. Februar (S. 448) oder der 
Mordanschlag auf den Banus von Kroatien in Agram am 20. Mai 
(S. 459) gaben gelegentlich der Offentlichkeit von diesen unter- 
irdischen verbrecherischen Umtrieben Kunde. Zur vollen Bedrohlich- 
keit aber entwickelte sich diese staatsfeindliche Agitation durch die 
Förderung, die sie in den nationalen Gegensätzen im Innern ge- 
funden hatte. Es bedarf leider heute keiner näheren Begründung
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.