Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Deckungs- 
frage. 
1174 Nebercht über die politiscze Eutwichlung des Jahres 1914. 
(655,3 Millionen für die Erhöhung des Friedensstandes und 754,5 Mil- 
lionen für die Verbesserung des Kriegsmateriales) fordern werde 
(S. 635). Insgesamt betrug die Vorlage zur Deckung der Be- 
dürfnisse für die nationale Verteidigung, durch welche sämtliche durch 
die Wiedereinführung der dreijährigen Dienstzeit und die Durch- 
führung des Flottenprogramms erwachsenen Ausgaben liquidiert 
werden sollten, 1800 Millionen Franken. Sie wurde am 26. März 
von der Kammer mit starker Mehrheit (S. 645) und am 14. Juli 
vom Senat einstimmig angenommen (S. 670). Die Deckungen für 
diese gewaltigen finanziellen Forderungen hoffte man teils auf dem 
Anleihewege, teils durch eine Erhöhung bereits bestehender Steuern, 
vor allem aber durch die Einführung der von den Radikalen längst 
geforderten progressiven Einkommensteuer zu gewinnen. Bereits am 
13. Januar legte Finanzminister Caillaux der Kammer den Ent- 
wurf zu einer Kapitalsteuer vor, die bei einem Kapital von 
30000 Franken beginnen und sich auf alle Wertpapiere, Immobilien, 
kaufmännische und Handelsbetriebe erstrecken sollte (S. 629). Auch vor 
dem Palladium des französischen Bürgers, der steuerfreien franzöfischen 
Rente, machte Caillaux nicht halt, vielmehr sollten ihre Inhaber, so- 
fern ihr Renteneinkommen 625 Franken und ihr gesamtes Einkommen 
1250 Franken übersteigt, zur Steuer herangezogen werden (S. 637 f.). 
Als ein energischer Versuch, die bisher geltenden veralteten Steuer- 
systeme durch eine gerechtere Verteilung der Steuerlasten zwischen Be- 
sitzenden und Nichtbesitzenden zu ersetzen, verdienten Caillaux' Reform- 
pläne die volle Anerkennung aller fortschrittlich Gesinnten. Um so 
heftigerem Widerspruch begegneten sie auf seiten der konservativen 
Börsen= und Finanzkreise. Eine wütende Preßhetze setzte gegen den 
unbequemen Neuerer ein, die in ihrer Skrupellosigkeit selbst in der 
französischen Parteigeschichte kaum ihresgleichen hat. Man arbeitete 
nicht nur mit gröbsten politischen Verdächtigungen, wobei Caillaux' 
angebliche Deutschfreundlichkeit, die er im Jahre 1911 auf Kosten 
seines Vaterlandes betätigt haben sollte, eine große Rolle spielte, 
sondern scheute sich auch nicht Intimitäten aus dem Privatleben ans 
Licht zu zerren. Das Revolverattentat der Frau Caillaux auf den 
Figaroredakteur Calmette, den Führer der gegen den Finanzminister 
gerichteten Kampagne, enthüllte blitzlichtartig die überhitzte Leiden-
	        
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