Aebersicht über die politische Eutwiczlung des Jahres 19141. 1189
Griechen, die bisher in den aftiatischen Provinzen der Türkei lebten,
in das Königreich abwanderten. Aus dem Widerstreite der Rechte
und Wünsche der Abziehenden, Zurückbleibenden und Ankommenden
ergaben sich naturgemäß schwere Störungen und Unzuträglichkeiten,
zumal angesichts der tiefen politischen, nationalen und religiösen
Gegensätze zwischen Griechen und Türken, die durch den Krieg eine
weitere Verschärfung erfahren hatten. Von griechischer Seite wurden
gegen die Pforte leidenschaftliche Anklagen wegen der rücksichtslosen
Verfolgung des griechischen Bevölkerungsteiles in Kleinasien und
Thrazien erhoben, während diese zu Beschwerden über das traurige
Los der Moslims in den neugriechischen Provinzen vielfach Anlaß
hatte. Diese gegenseitigen, auf ihre Berechtigung schwer nach-
prüfbaren Beschuldigungen verursachten eine griechisch-türkische
Spannung, die Anfang Juni einen so bedenklichen Charakter an-
nahm, daß ein kriegerischer Zusammenstoß kaum vermeidbar er-
schien. In der Kammerrede des griechischen Ministerpräsidenten
Venizelos vom 11. Juni kam der Ernst der Lage deutlich zum
Ausdruck (S. 937). Am folgenden Tage richtete die griechische
Regierung eine in sehr entschiedenem Tone gehaltene Note an
die Pforte, in der sie die Einstellung der Verfolgungen ihrer
Stammesgenossen und Ersatz für den verursachten Schaden forderte
(S. 865). Von der Pforte wurden daraufhin umfassende Maß-
nahmen getroffen, um die aufgeregte Bevölkerung zu beruhigen
und die vorhandenen Mißstände abzustellen. Zur Erzielung einer
dauernden Verständigung schlug die Pforte am 22. Juni der griechi-
schen Regierung vor, die griechischsprechende und mohammedanische
Bevölkerung sowie die Güter der ausgewanderten Personen gegen-
seitig auszutauschen; zur Abschätzung der Flüchtlingsschäden sollten
gemischte Kommissionen in Thrazien und Kleinasien eingerichtet
werden (S. 868). Da sich die griechische Regierung mit diesen Vor-
schlägen einverstanden erklärte, war vorerst die Konfliktsgefahr be-
seitigt. über die Inselfrage wurde in freundschaftlicher Form weiter
verhandelt. Eine Aussprache, die Ende August zwischen griechischen
und türkischen Delegierten in Bukarest stattfand, führte zu keinem
Ergebnis (S. 916). Am 1. Oktober teilte Venizelos in der griechi-
schen Kammer mit, „die Regierung sei geneigt, der Türkei eine
Griechisch-
türkische
Spannung.