Neberscht über die politische Entwichlung des Jahres 1914. 1197
Der tiefere Anlaß für die eigenartige Haltung des Präsidenten, der
einen Rechtssatz, für den er selbst während seines Wahlfeldzuges
eingetreten war, plötzlich preisgab, lag wohl in seinem Bestreben,
durch ein Entgegenkommen in dieser die englischen Schiffahrts-
interessen benachteiligenden Angelegenheit sich die Unterstützung
Englands bei dem fast unvermeidbar gewordenen Eintritt eines
kriegerischen Zusammenstoßes mit Mexiko zu sichern. Bekanntlich Konflikt mit
hatte Präsident Wilson dem General Huerta, der seit der Ermor- Nexike.
dung des Präsidenten Madero in Mexiko als Diktator schaltete,
die Anerkennung verweigert, angeblich weil er an dem gewalt-
tätigen, verfassungswidrigen Charakter seiner Herrschaft Anstoß
nahm, in Wirklichkeit weil eine Gesundung des schwerzerrütteten
mexikanischen Staatswesens, wofür Huertas rücksichtslos durch-
greifende Persönlichkeit gute Bürgschaft zu bieten schien, den
Wünschen der amerikanischen Großkapitalisten, die in Mexiko seit
langem eine fette Beute witterten, durchaus zuwiderlief. Für ein
Eingreifen in die inneren Wirren des Nachbarreiches fehlte Wilson,
wenn er nicht die Monroedoktrin eigenmächtig auslegen wollte,
jede Berechtigung. Gleichwohl hatte er von Anfang an seinen
ganzen Einfluß aufgeboten, um Huertas Stellung, obwohl sich für
ihn die Mehrheit des Landes erklärt hatte und er somit von den
auswärtigen Mächten als Staatsoberhaupt zu betrachten war, zu
untergraben und unhaltbar zu machen, während dessen Gegner
Carranza und Villa insgeheim von den Vereinigten Staaten unter-
stützt wurden. Die Freigabe der Waffenausfuhr nach Mexiko, die
Präsident Wilson am 3. Februar verfügte, kam ausschließlich den
Konstitutionalisten zugute. Durch den Zwischenfall in Tampico
am 11. April (S. 953) spitzte sich das Verhältnis Amerikas zu
Mexiko so bedenklich zu, daß Präsident Wilson am 20. April vom
Kongreß die Zustimmung erbat, „die bewaffnete Macht der Ver-
einigten Staaten nach Bedarf verwenden zu dürfen, um von Huerta
die vollste Anerkennung der Rechte und der Würde der Vereinigten
Staaten zu erlangen“. Diese Ermächtigung wurde noch am gleichen
Tage vom Repräsentantenhause und am folgenden Tage nach hef-
tigen Debatten, in denen die Politik des Präsidenten scharf an-
gegriffen wurde, auch vom Senate erteilt. Am gleichen Tage be-