582 Greßbritannien. (Ende September.)
sei, die deutsche Antwort zu überlegen. Er erwiderte, daß, selbst wenn die
gegebene Frist 24 Stunden oder mehr wäre, seine Antwort die gleiche sein
müsse. Ich sagte, daß ich in diesem Falle meine Pässe zu verlangen
haben würde.
Diese Unterredung fand ungefähr um 7 Uhr statt. In einer kurzen
Unterhaltung, die folgte, drückte Herr v. Jagow sein schmerzliches Bedauern
über den Zusammenbruch seiner und des Reichskanzlers gesamter Politik
aus. Diese sei gewesen, mit Großbritannien in Freundschaft zu leben und
hierauf durch Großbritannien Frankreich näherzutreten. Ich sagte, dieses
plötzliche Ende meiner Berliner Arbeit sei auch für mich ein Gegenstand
tiesen Bedauerns und der Enttäuschung. Er müsse jedoch einsehen, daß
unter den gegebenen Umständen und angesichts unserer Verpflichtungen die
britische Regierung gar nicht anders habe handeln können, als sie getan.
Ich sagte weiter, daß ich gern den Reichskanzler besuchen würde, weil es
vielleicht das letztemal sei, wo ich Gelegenheit haben würde, ihn zu sehen.
Er ersuchte mich, dies zu tun. Ich fand den Reichskanzler sehr aufgeregt.
Seine Exzellenz begann sofort mit einer Anrede, die ungefähr zwanzig
Minuten dauerte. Er sagte, der von der britischen Regierung beschlossene
Schritt sei im höchsten Grade schrecklich; nur um ein Wort „Neutralität",
ein Wort, das in Kriegszeiten so oft mißachtet worden sei, nur um ein
Stück Papier sei Großbritannien im Begriff, Krieg mit einer verwandten
Nation zu führen, welche nichts Besseres wünsche, als mit ihr befreundet
zu bleiben. Alle seine Anstrengungen in dieser Richtung seien durch diesen
schrecklichen Schritt nutzlos geworden, eine Politik, für die er sich, wie ich
wisse, seit seinem Amtseintritt eingesetzt habe, sei zu Boden gefallen wie
ein Kartenhaus. Was wir getan hätten, sei nicht auszudenken. Es sei wie
ein Schlag gegen einen Mann von hinten, während er mit zwei Angreifern
um sein Leben kämpfe. Er mache Großbritannien verantwortlich für alle
die schrecklichen Ereignisse, die eintreten könnten.
Ich protestierte gegen diese Erklärung nachdrücklich und sagte, so wie
er und Herr v. Jagow mich ersucht hätten einzusehen, daß der Vormarsch
durch Belgien und die Verletzung der belgischen Neutralität aus strategischen
Gründen eine Sache von Leben und Tod für Deutschland sei, ebenso bäte
auch ich ihn zu verstehen, daß es sozusagen eine Sache von Leben und
Tod für die britische Ehre sei, eine feierliche Verpflichtung zu halten und
alles zur Verteidigung der angegriffenen belgischen Neutralität aufzubieten.
Der Kanzler sagte: „Aber um welchen Preis wird dieser Vertrag
gehalten. Hat die britische Regierung daran gedacht?" Ich deutete Seiner
Exzellenz so offen als ich konnte an, daß die Furcht vor den Folgen kaum
als Entschuldigung für den Bruch feierlicher Verträge anzusehen sei. Aber
Seine Exzellenz war so erregt, so offensichtlich von der Nachricht von
unserem Handeln überwältigt und so wenig aufgelegt, Vernunftgründe an-
zuhören, daß ich davon abstand, durch ferneres Argumentieren Oel in das
Feuer zu gießen. Als ich ihn verließ, sagte er: Der Schlag, den Groß-
britannien führe, indem es sich zu Deutschlands Feinden geselle, sei um
so größer, als fast bis zum letzten Augenblick er und seine Regierung mit
uns gearbeitet und unsere Bemühungen zur Erhaltung des Friedens zwischen
Oesterreich und Rußland unterstützt hätten. Ich sagte, dies eben gehöre zu
der Tragödie der Trennung der beiden Nationen gerade in dem Augenblick,
wo ihre Beziehungen freundlicher und herzlicher geworden seien, als sie seit
Jahren waren. Unglücklicherweise habe sich trotz unserer Bemühungen, den
Frieden zwischen Rußland und Oesterreich zu erhalten, der Krieg ausgebreitet
und uns einer Situation gegenübergestellt, die wir, wenn wir unsere Ver-
pflichtungen einhalten, unmöglich vermeiden konnten und die unglücklicher-