Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

588 Greßbrilaunien. (Ende September.) 
Feindseligkeiten gegen Deutschland eingeleitet habe, Oesterreich-Ungarn sich 
ebenfalls im Kriegszustande mit Rußland betrachte". Schebeko reiste in der 
Stille in einem von der österreichisch-ungarischen Regierung gestellten 
Sonderzuge am 7. August ab. Er hatte dringend gebeten, nach der rumä- 
nischen Grenze befördert zu werden, damit er in seine Heimat gelangen 
könnte, wurde jedoch statt dessen an die schweizerische Grenze gebracht, und 
zehn Tage später traf ich ihn in Bern. Dumaine (der französische Bot- 
schafter) blieb bis zum 12. August. Am Tage vorher war er angewiesen. 
worden, seine Pässe zu verlangen mit der Begründung, daß österreichisch- 
ungarische Truppen gegen Frankreich verwandt würden. Dieser Punkt war 
nicht völlig aufgeklärt, als ich Wien verließ. Am 9. August hatte Dumaine 
vom Grafen Berchtold die bestimmte Erklärung erhalten, daß keine öster- 
reichisch-ungarischen Truppen nach dem Elsaß geschoben würden. Am fol- 
genden Tage wurde die Erklärung durch eine weitere ergänzt, und zwar 
eine schriftliche, welche die Versicherung des Grasen Berchtold enthielt, daß 
nicht nur keine österreichisch-ungarischen Truppen nach der französischen 
Grenze gebracht worden seien, sondern auch, daß keine aus Oesterreich-Ungarn 
in westlicher Richtung nach Deutschland in der Weise rückten, daß sie deutsche 
Truppen in der Front ersetzen könnten. Diese beiden Erklärungen wurden 
durch den Grafen Berchtold in Erwiderung bestimmter, an ihn von Dumaine 
gemäß Weisungen seiner Regierung gerichteten Fragen abgegeben. Die Ab- 
reise des französischen Botschafters gab zu keiner feindseligen Kundgebung 
Anlaß, allein vor seiner Abreise war Seine Exzellenz noch durch eine An- 
sprache verletzt worden, die der Oberbürgermeister von Wien an die Menge 
auf den Stufen der Freitreppe vor dem Rathaus gerichtet hatte und worin 
er die Leute versicherte, Paris befinde sich in den Zuckungen der Revolution 
und der Präsident der Republik sei ermordet worden. 
Die britische Kriegserklärung Englands gegen Deutschland 
wurde in Wien durch Sonderausgaben der Blätter um die Mittagsstunde 
des 5. August bekannt. Ein Auszug aus Ihren Unterhausreden, sowie aus. 
der Reichstagsrede des deutschen Kanzlers vom 5. August erschien an dem- 
selben Tage, ebenso der Wortlaut des deutschen Ultimatums an Belgien. 
Auch anders drangen Einzelheiten von den großen Ereignissen dieser Tage 
durch. Die „Neue Freie Presse“ erging sich in heftigen Beschimpfungen 
gegen England. Das „Fremdenblatt“" enthielt sich der Beleidigungen, allein 
es wurde in den Wiener Blättern kaum etwas laut, um zu erklären, daß 
die Verletzung der belgischen Neutralität der Regierung S. M. keine 
andere Wahl als die Beteiligung an dem Krieg gelassen habe. Die Neu- 
tralitätserklärung Italiens wurde in Wien bitter empfunden, in den Blättern 
aber kaum erwähnt. 
Am 5. August hatte ich die Ehre, Ihre Weisung vom Tage vorher 
zu erhalten, die mich auf den sofortigen Ausbruch des Krieges mit Deutsch- 
land vorbereitete, jedoch mit dem Zusatz, daß in der Annahme, daß Oester- 
reich-Ungarn zu diesem Zeitpunkt noch nicht als im Kriege mit Rußland 
und Frankreich gelte, Sie nicht wünschten, daß ich um meine Pässe bäte, 
oder der österreichisch-ungarischen Regierung eine besondere Mitteilung 
machte. Sie teilten gleichzeilig mit, die Regierung S. M. erwarte natürlich, 
daß Oesterreich-Ungarn keine Kriegshandlung gegen uns begehen würde, 
ohne die durch den diplomatischen Brauch erforderte Anfrage. Am Donners- 
tagmorgen (13. August) hatte ich die Ehre, Ihr Telegramm vom 12. mit 
der Mitteilung zu empfangen, daß Sie sich genötigt gesehen hätten, auf 
Ersuchen der französischen Regierung dem Grafen Mensdorff zu eröffnen: 
Nachdem Oesterreich--Ungarn den Krieg an Rußland erklärt habe, das schon. 
an der Seite Frankreichs kämpfe, und österreichisch-ungarische Truppen an
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.