Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Erster Teil. (58a)

126 Vetsches Reich. (Februar 14.—17.) 
Die Reichswochenbeihilfe soll bei der Aenderung mithineingearbeitet werden. 
Diese Vorschläge verdienen ernste Beachtung; Verhandlungen darüber sind 
eingeleitet. Für die Säuglingsfürsorge ist bereits einiges geschehen. Die 
warme Anerkennung für die Staatsverwaltung und die Medizinalverwal- 
tung erfüllt mich namentlich für meine verdienten Mitarbeiter mit Genug- 
tuung, aber auch die gesamte Aerzteschaft hat sie wohl verdient. Ihre 
Leistungen im Krieg und ihre vorbeugende Tätigkeit im Frieden werden 
immer ein Ruhmesblatt unserer Geschichte bleiben. Namentlich auf dem 
(Gebiet der Säuglingspflege ist Erhebliches geschehen. Gegen 1915 ist im 
Jahre 1916 bezüglich Cholera, Pocken und Rückfallfieber eine bedeutend 
günstigere Lage festgestellt. Bei der preußischen Zivilverwaltung traten 1916 
Cholera und Rückfallfieber überhaupt nicht auf, das Fleckfieber nur ver- 
einzelt, durch Zivilarbeiter aus Polen eingeschleppt, und nur in sieben 
Fällen hat eine Uebertragung auf die einheimische Bevölkerung statt- 
gefunden. Wir haben Fälle von Pocken gehabt, und die Seuche ist noch 
nicht unterdrückt. Sie ist eingeschleppt durch die zahlreichen wolhynischen 
Rückwanderer, die zum Teil bei uns seßhaft gemacht worden, auch zum 
Teil im Land ohne Wohnsitz sind. 30000 solcher Rückwanderer sind fest- 
gestellt worden. Die Sterblichkeit an Tuberkulose hat allerdings eine Zu- 
nahme erfahren. Während im Jahre 1915 sich nur ein Anstieg von rund 
400 Fällen gegenüber 1914 ergab, werden wir im Jahr 1916 auf eine 
Erhöhung um 2000 rechnen müssen. Selbstverständlich geschieht alles Mög- 
liche, um dieser Zunahme der Erkrankungen an Tuberkulose Herr zu 
werden. Erfreulich ist, daß Diphtherie und Scharlach gegen Ende 1916 einen 
Rückgang aufweisen. Auch bei Typhus ist eine erhebliche Abnahme gegen 
das Vorjahr zu bemerken; die Einschleppung aus dem Felde hat sich nur 
in wenigen Fällen feststellen lassen. Sie sehen daraus den durchaus gün- 
stigen Stand der Seuchenbekämpfung und wie hervorragend die er- 
griffenen Maßnahmen sich in der Bevölkerung bewährt haben. Zur Be- 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten muß selbstverständlich alles getan 
werden. Außerordentlich günstig wirken die von der Reichsversicherungs- 
verwaltung eingerichteten Beratungsstellen. Ich gebe zu, daß man durch 
Aufhebung der Schweigepflicht der Aerzte eine schnellere und sicherere Hei- 
lung erzielen könnte, anderseits könnte aber doch auch das Vertrauen zu 
den Aerzten dadurch nachlassen, so daß die Kranken dann aus Furcht vor 
dem Bekanntwerden ihrer Erkrankung weniger zu den Aerzten hingehen 
würden. Bei den Fragen der Bevölkerungspolitik dürfen nicht bloß 
wirtschaftliche und soziale Gesichtspunkte entscheiden, sondern es handelt 
sich um Dinge tiefsittlicher Natur. Kirche. Schule, Elternhaus, alle beruf- 
lichen Organisationen müssen daran mitarbeiten, um zu helfen und das 
Uebel abzustellen. So sehr man die rein biologische Auffassung vermeiden 
muß, so dringend erforderlich ist die größte Fürsorge für das uneheliche 
Kind und für die uneheliche Mutter. Religiöse, sittliche, soziale und mensch- 
liche Gründe müssen uns dazu bestimmen. Damit ist dem ganzen Vater- 
lande gedient. In einer Besprechung, die in meinem Ministerium unter 
Teilnahme von Land= und Reichstagsabgcordneten stattgefunden hat, ist 
darüber beraten worden, wie dem bedrohlichen Geburtenrückgang ab- 
zuhelfen, wie das Wachstum der Bevölkerung gefördert und wie die Säug- 
lingssterblichkeit und die Sterblichkeit überhaupt zu verringern sei. Man 
hat eine Reihe von sozial-hygienischen Maßnahmen für wünschenswert er- 
achtet: weitgehende Verbesserung der Säuglingsfürsorge und des Mutter- 
schutzes, eine gründliche Hebammenordnung, die ebenso notwendig wie un- 
aufschiebbar ist, eine Verbesserung des Haltekinderwesens und der Stellung 
der unehelichen Kinder, Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und gesund-
	        
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