Vertsches Reich. (Februar 14.—17.) 127
heitspolizeiliche Maßnahmen. Mit Recht ist auf die wünschenswerte Mit-
arbeit der Kirche hingewiesen worden. Ebenso steht es bezüglich steuer-
politischer Maßnahmen zur Begünstigung kinderreicher Familien und der
Besteuerung kinderloser Ehen. Die bis jetzt zusammengebrachten zehn Mil-
lionen für die Kriegerheimstätten sind natürlich zu gering; es muß da
mehr geschehen. Wenn wir den heimkehrenden Kriegern möglichst ein Heim
verschaffen, so erfüllen wir eine vaterländische Pflicht. Desgleichen ver-
dienen die Kindergärten, Krippen, Kleinkinderschulen und ähnliche Ein-
richtungen jede Förderung. Namentlich in den größeren Städten müßten
auch öffentliche Mittel dafür bereitgestellt werden. Das gesamte Material
wird jetzt gesichtet und durchgearbeitet. um die Grundlage für Beschlüsse
der Staatsregierung zu bieten. Sie wollen überzeugt sein, daß die Re-
gierung diese Fragen für außerordentlich wichtig und dringlich hält. Wir
werden alles daran setzen, sie so schnell wie möglich zum Abschluß zu bringen
und, soweit sich die Vorschläge als notwendig erweisen, in Vollzug zu setzen.
Abg. Haenisch (Soz.): Sachlich ist kein Etat für die ganze Zukunft
unseres Volkes von größerer Bedeutung als das Gesundheitswesen. Die
beiden vorliegenden Anträge für Reichswochenhilfe und Säuglingspflege
führen uns mitten hinein in die großen Probleme der Bevölkerungspolitik,
die nicht erst durch den Krieg akut geworden ist. Seit 1877 haben wir in
Deutschland einen stets zunehmenden Geburtenrückgang. Alle Erwartungen
und Berechnungen für den künftigen wirtschaftlichen und kulturellen Auf-
stieg Deutschlands haben aber mit einer beständigen Bevölkerungszunahme
gerechnet. So wird die Frage nach den Ursachen und der Möglichkeit zur
Beseitigung dieses Uebels zu einem Gegenstand von höchster nationaler Be-
deutung. Der seit 1900 zu beobachtende starke Geburtenrückgang hat trotz
des wirtschaftlichen Aufschwungs doch seine Ursache in den sozialen Verhält-
nissen. Zwei Auswege gibt es aus dieser Situation: Entweder man wirft die
Arbeiter in die alte Bedürfnis- und Verantwortungslosigkeit zurück, was
natürlich nicht angeht, oder man hebt ihre Lage so intensiv, daß auch ihr
gesteigertes Verantwortungsgefühl es ihnen erlaubt, eine größere Zahl von
Kindern in die Welt zu setzen. An einzelnen sozialen Ursachen für den
Geburtenrückgang kommt in Betracht das Wohnungselend, das sich nach
dem Kriege noch verschlimmern wird. Da sind sehr zu begrüßen die Be-
strebungen auf Gründung von Kriegerheimstätten. Damit hängt zusammen
die innere Kolonisation, der das neue Fideikommißgesetz leider direkt ent-
gegenarbeitet. Ein weiterer Grund der mangelnden Bevölkerungsvermehrung
ist die steigende Erwerbsarbeit der Frauen, die sich während des Krieges
noch beträchtlich verschlimmert hat. Obgleich eine Vermehrung der Ehe-
schließungen nicht ohne weiteres eine Vermehrung der Geburten zur Folge
hat, muß doch den Angehörigen, besonders der geistigen Berufe, durch Ver-
besserung ihres Einkommens ein früheres Heiraten ermöglicht werden, das
Kinderprivileg im Steuerwesen ist weiter auszubauen. Solche und ähnliche
Maßnahmen versprechen viel mehr Erfolg als ein grundsätzliches Verbot
des Vertriebs empfängnisverhütender Mittel. Vor allem darf die Ver-
breitung derjenigen Mittel nicht gehindert werden, die geschlechtliche An-
steckung fernhalten, denn sonst treibt man den Teufel durch Beelzebub aus.
Notwendig ist umfassendste Säuglingsfürsorge. Wir fordern Verstaat-
lichung der Geburtshilfe. Die Reichswochenhilfe muß ausgebaut und zu
emer dauernden Pflichtleistung der Krankenkassen umgewandelt werden.
Wir haben uns ja jetzt im Kriege an das Rechnen mit Riesenziffern leider
gewöhnt. Wenn jetzt Hunderte von Milliarden zur Zerstörung und Ver-
nichtung ausgegeben werden müssen, dann ist es nur gerecht, auch Riesen-
summen für Zwecke der Vermehrung und Erhaltung zinstragend anzulegen.