128 Veuisches Reich. (Februar 14.—17.)
An der Zunahme der Kreislauf-, Nieren- und Nervenerkrankungen trägt
der Alkohol- und Nikotinmißbrauch im Heere große Schuld. Warum ist
der alkoholfreien Mobilmachung nicht auch ein entsprechender Fortgang ge-
folgt? Die große Widerstandskraft der Russen ist sicher nicht zum wenigsten
dem Alkoholverbot zuzuschreiben. Wir brauchen Förderung aller Bestrebungen
der Lebensreform: der Abstinenzbewegung, der Bestrebungen gegen den
Tabakmißbrauch, der Sportvereine und der Jugendbewegung. Wir brauchen
einen systematischen theoretischen und praktischen Gesundheitsunterricht in
der Schule. Die Verhütung von Krankheiten ist eine der vornehmsten Auf-
gaben des Staates. Nicht bürokratische Gängelung aller Lebensreform-
bewegungen verlange ich, wohl aber ihre kräftigste Förderung, ihre syste-
matische Zusammenfassung und ihre Belebung durch unermüdlich neu zu
gebende Anregungen, daneben die Schaffung einer großzügigen Gesundheits-
organisation über das ganze Reich mit einem Gesundheitsministerium
an der Spitze. Das muß uns künftig mindestens ebenso am Herzen liegen,
wie bisher die Heeresorganisation. Lebensreform und Sozialreform der um-
fassendsten Art und in engster Verbindung miteinander: das tut uns not.
Und nirgends mehr als hier gilt die Losung: Vorwärts und Aufwärts!
Abg. Rewoldt (Freikons.) schließt sich den Wünschen auf Maßnahmen
zur Hebung der Gesundheit des Volkes an.
Abg. Dr. Lohmann (Natl.): Die soziale Theorie, die der Abg. Haenisch
entwickelt hat, kann ich für die Erklärung des Geburtenrückganges nicht
gelten lassen. In der Steuerfrage, in der Wohnungsfrage, in der Beamten-
gehalts= und in der Wohnungsgeldzuschußfrage muß der Hebel angesetzt
werden. Dann kommen die sozialhygienischen Maßnahmen in Betracht. Er-
freulich ist die Abnahme der Säuglingssterblichkeit bei den unehelichen Kindern
in den Städten. Die Bewegung für die Ansiedlung von Kriegern auf dem
Lande begrüßen wir. Schnelle Schritte sind erforderlich, um uns den Schatz
von Kindern, den wir noch haben, auch zu erhalten. Der Schritt, der von
der Regierung vorgeschlagen ist, Fürsorgeämter einzurichten, erscheint mir
durchaus gangbar.
Ministerialdirektor Dr. Kirchner: Ueber den Zustand der Schüler
sind von den Schulärzten eingehende Untersuchungen angestellt worden. Es
hat sich ergeben, daß in den verschiedenen Schulen keinerlei Abnahme der
Körperlänge stattgefunden hat. Was die Gewichtsabnahme betrifft, so hat
sich herausgestellt, daß in den höheren Schulen eine größere Abnahme
zu verzeichnen ist als in den Volksschulen. Das ist auf eine gewisse Ueber-
ernährung vor dem Kriege, auf eine gewisse Verweichlichung zurückzuführen.
Allerdings ist nicht zu verschweigen, daß die Lage 1916 etwas ungünstiger
geworden ist als 1915. Immerhin haben wir keinen Anlaß, uns wegen
des Gesundheitszustandes unserer Jugend zu beunruhigen. Was den Ge-
sundheitszustand der Erwachsenen betrifft, so liegen uns die Zahlen
der Sterblichkeitsziffer von 1916 noch nicht vor, wohl aber von 1915. Diese
ergibt, daß die Magen- und Darmkrankheiten in diesem Jahre erheblich
abgenommen haben. Die Abnahme des Körpergewichts will nicht viel sagen.
Seit 20 Jahren haben wir nicht eine so geringe Sterblichkeit am Krebs
gehabt wie jetzt. Dagegen hat die Tuberkulose zugenommen. Wir sind stolz
darauf, daß wir 1913 auf einem Tiefstand angelangt waren. Das hat sich
leider seit 1914 geändert. Auch die Zahl der Sterbefälle wegen Alters-
schwäche hat 1915 zugenommen. Man wird sagen dürfen, daß die Verhält-
nisse trotz der Schwierigkeit der Ernährung nicht beunruhigend sind. Was
die Seuchen betrifft, so sind diese 1870 viel stärker aufgetreten als jetzt.
Die Impfung hat sehr günstig gewirkt. Die Cholera ist vollständig ver-
schwunden, in der Zivilbevölkerung ist sie nicht aufgetreten. Die Erfahrungen