Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Erster Teil. (58a)

Beutsches Reich. (März 2.3.) 239 
den Standpunkt vertreten, daß eine allgemeine Gefangenhaltung der Zivil- 
personen grundsätzlich unzulässig ist, auch ihrer Abreise im allgemeinen kein 
Hindernis in den Weg gelegt werden darf. Leider haben sich die Re- 
gierungen der drei Mächte nicht auf diesen Standpunkt gestellt, so daß 
Deutschland schließlich mit Vergeltungsmaßnahmen vorgehen mußte. In- 
zwischen ist es mit ihnen zu Vereinbarungen gekommen, die wenigstens ge- 
wissen Klassen von Zivilpersonen die Heimkehr ermöglichen. Andere Ver- 
einbarungen gelten der Unterbringung halbinvalider Zivilgefangener in der 
Schweiz. Sondervereinigungen sind für das Konsulatspersonal getroffen. 
Mit Frankreich, Großbritannien und Rußland ist verabredet worden, daß 
die Zivilinternierten nicht wider ihren Willen zur Arbeit herangezogen 
werden sollen, soweit es sich nicht um Arbeiten zur Aufrechterhaltung des 
Lagerdienstes handelt. Zugunsten der unter den Zivilgefangenen befind- 
lichen verabschiedeten Offiziere, der Offiziere des Beurlaubtenstandes und 
der Beamten sind besondere Vereinbarungen getroffen worden. 
Dem „Weißbuch“ sind als Anlagen beigegeben: die einschlägigen 
Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung von 1907, des Genfer Ab- 
kommens von 1906 und 1907, sowie die Bedingungen für den Austausch 
Schwerverwundeter zwischen Deutschland und Belgien, Frankreich, Eng- 
land, Rußland, das Verzeichnis der Krankheiten usw., die für die Inter- 
nierung in der Schweiz in Betracht kommen, Handhabung des Postverkehrs, 
Besoldungssätze für gefangene Offiziere. 
2. März. Nach einer auf zuverlässigen Angaben beruhenden 
Aufstellung der „Deutschen Nautischen Zeitschr.“ befinden sich in 
neutralen Häfen 553 deutsche Schiffe mit zus. etwas über 
2100 000 Br. Reg.T. 
3. März. Der Reichskanzler empfängt eine Abordnung 
des Rates für Flandern. 
Die Abordnung überbringt die Beschlüsse und Wünsche des Rates für 
Flandern, die dieser allen kriegführenden und neutralen Staaten durch seinen 
Aufruf vom 4. Febr. 1917 (s. Belgien, 4. Febr.) zur Kenntnis gebracht hat. 
Der Sprecher der Abordnung trägt das vlämische aktivistische Programm 
einer inneren Autonomie Flanderns auf der Grundlage der niederländischen 
Sprache und Kultur vor, erinnert an die Rede des Reichskanzlers vom 
5. April 1916, an die bisherigen dankenswerten Maßnahmen des General- 
gouverneurs und bittet um die weitere Durchführung dieser auf der Grund- 
lage der internationalen Rechtsbestimmungen getroffenen Maßnahmen. 
Der Reichskanzler erwidert: M. H. Ihrem Wunsche nach einer 
persönlichen Aussprache bin ich gern entgegengekommen. Herzlich heiße ich 
Sie in des Deutschen Reiches Hauptstadt willkommen als die Vertreter eines 
durch Blut und Sprache verwandten Volkes, mit dem in den Zeiten der 
reichsten Blüte germanischer Kultur uns politisch, kulturell und wirtschaft- 
lich enge Beziehungen einten. Ich brauche nur die Namen Augsburg und 
Antwerpen, Nürnberg und Brügge zu nennen, und in uns allen erwacht 
aus dem Schlaf vergangener Zeiten das Bewußtsein einer Verwandtschaft 
und Wesensgemeinschaft, die beide Völker verknüpft. Die vertrauensvollen 
Worte, die Sie soeben an mich richteten, finden deshalb in mir, und ich 
glaube wohl in jedem Deutschen, herzlichen Widerhall. Das vlämische Volk 
hat jahrhundertelang Bahnen gehen müssen, die immer weiter von uns 
wegführten und von denen stammesbewußte Denker und Dichter Ihres 
Volkes uns sagen, daß es Leidenswege gewesen sind. Heute fügt es Gott,
	        
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