Beutsches Reich. (März 14.) 295
wird Preußen bleiben, was es war und ist, der starke Fels, auf dem das
Reich begründet ist. (Lebh. Beif. b. d. Freik.)
Abg. Dr. Pachnicke (Fortschr. Vp.): Es bleibt mir nur übrig, auch
mein schärfstes Bedauern auszusprechen. Dem Herrenhaus ist es auf
die Diätenvorlage nicht angekommen. Es war der Kampf gegen die ge-
samte parlamentarische Entwicklung, der Kampf gegen die Neuorien-
tierung. Die Minderheit des Herrenhauses hat geschwiegen. Wir hätten
erwartet, daß die Herren aus ihrer liberalen Gesinnung kein Hehl gemacht
hätten. Aber nicht die Ablehnung hat die Verstimmung gebracht, sondern
die Form der Ablehnung. Graf Yorck hat sich gegen alles gewandt, was
einen Fortschritt erkennen ließ. Das Herrenhaus ist ein Ueberbleibsel aus
alter Zeit, ein mittelalterliches Instrument. Der Grundadel hat sich im
Herrenhause eine Standesvertretung geschaffen, die nicht mehr in unsere
Zeit paßt. Industrie und Handel haben eine ganz andere Bedeutung.
Das Herrenhaus vertritt auch nicht mehr die Landwirtschaft, sondern nur
die adelige Landwirtschaft, den Großgrundbesitz. Es muß Wandel geschafft
werden, und noch über den nationallib. Antrag hinaus. Solange wir das
Herrenhaus ertragen müssen, solange müssen wir wünschen, daß es eine
andere Zusammensetzung erhält. Die Frage der Reform des Herrenhauses
ist ausgerollt und wird nicht zur Ruhe kommen. Der Ministerpräsident,
der in unserer Mitte erschienen ist, hat von der neuen Zeit gesprochen, die
da sei, und die Kräfte, die im Kriege tätig seien, müßten auch im Frieden
weiterwirken. Ich zweifle nicht an seinem Willen, aber ob er in der Lage
sein wird, seinen Willen durchzusetzen, wenn die Dinge nicht geändert
werden, das kann fraglich sein. Wir richten an den Reichskanzler die
Frage, was gedenkt er der Krone und der Volksvertretung vorzuschlagen,
um die innere Krise zu beseitigen, deren tiefster Grund die Verschiedenheit
der Zusammensetzung des Reichstags und des Abgeordnetenhauses und
daneben noch die Existenz des Herrenhauses ist. Hier droht Gefahr, und
wie gedenkt der Reichskanzler eine Durchkreuzung seiner Po-
litik zu verhindern? Will der Reichskanzler diese Vorstöße hinnehmen,
die sich gegen ihn in erster Linie richten? Wenn die inneren Erneuerungen
ausbleiben, so würde das verhängnisvoll werden. Einer solchen Enttäuschung
läßt sich nur vorbeugen, wenn man fest auf das Ziel losgeht. Dieses Ziel
läßt sich nicht erreichen, wenn nicht gegen die kleine, aber übermächtige und
übermütige Kaste Stellung genommen wird. Das Volk muß zu seinem
Recht kommen. (Lebh. Beif.)
Sodann äußert sich der Präsident des Staatsministeriums, Reichs-
kanzler Dr. v. Bethmann Hollweg in programmatisch bedeutsamer Weise
über die künftige Neugestaltung des innerpolitischen Lebens
Deutschlands: M. H., mir wurde vorhin mitgeteilt — und die eben ge-
hörte Rede des Herrn Abg. Pachnicke hat mir den Beweis gegeben —, daß
Ihre Debatte über den Etat des Herrenhauses einen hochpolitischen Cha-
rakter angenommen hältte. Das gibt mir Veranlassung zu einigen kurzen
Ausführungen. Zum Diätengesetz, das in den bisherigen Reden eine größere
Rolle gespielt hat, will ich nur weniges sagen. Es bildet ja nur den
mittelbaren Anlaß zu der heutigen Debatte. (Sehr richtig im Ztr. und l.)
Wir haben seinerzeit die Diätenvorlage eingebracht nicht aus Liebe-
dienerei gegen allerlei hier und da allerdings ziemlich laut geäußerte
Wünsche dieses Hauses — gegen diese Vorstellung möchte ich hier aus-
drücklich Verwahrung einlegen — (Bravo! im Ztr. und l.), sondern weil
wir mit der Vorlage alten, langen, zum Teil sehr widrigen und unerquick-
lichen Differenzen mit einem großen Teil dieses Hauses ein Ende bereiten.
wollten, und weil wir hofften, durch die Vorlage die Abwicklung der parla-