Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Erster Teil. (58a)

446 Beutsches Reich. (April 24.— Mai 1.) 
begrüßen, aber die Gewerkschaften sollte dies nicht täuschen. Sie kämen 
nicht auf gegen den Terrorismus, der von wenigen auf die Gutgesinnten 
ausgeübt werde. Neuerdings werde wieder ein hetzerischer Aufruf unter 
der Arbeiterschaft verteilt, der dazu aufmuntert, die Kämpfe fortzuführen 
und die noch arbeitenden Betriebe stillzulegen. (Gr. verliest das Flugbiatt.“ 
Die Gewerkschaften dürften nicht glauben, daß man diesem Treiben allein 
mit gutem Zureden entgegentreten dürfe. Hier heiße es: Es darf nicht 
bloß der Mund gespitzt, hier muß gepfissen werden! 
Abg. Weinhausen (Fortschr. Vp.) bezeichnet das Flugblatt als ver- 
brecherisch; seiner Verbreitung müsse entgegengetreten werden. Die gestrige 
Erklärung des Generals Groener habe ihm besser gefallen als der heutige 
Aufruf, nicht wegen der scharfen Ausdrücke, sondern wegen des ganzen Tons. 
Auf die Hetzer werde er nicht wirken, aber die Form der Aufforderung 
zur Aufklärung erschwere diese aufs äußerste. Man sollte auch den An- 
schein der Nervosität vermeiden. Auch bei den Angestellten und andem 
Vorgesetzten der Arbeiter gebe es Unzufriedenheit aus verschiedenen Gründen. 
Abg. Behrens (Deutsche Fr.) bezeichnet das hetzerische Flugblatt seinem 
Inhalte nach als glatten Volks- und Landesverrat, die Urheber verdienten, 
an die Wand gestellt zu werden. Dieses hetzerische Erzeugnis politischer 
Drahtzieher sei wohl auf militärische Maßnahmen nicht ohne Einfluß ge- 
wesen. Man müsse allerdings zugeben, daß der Groenersche Aufruf nicht 
durchweg glücklich sei. Die Vorschläge auf Bildung besonderer Aufklärungs- 
ausschüsse finde er wenig gut. Die Gewerkschaften aller Richtungen hätten 
sich gegen die Rüstungsstreiks ausgesprochen. Die Arbeit dürfe keine Stunde 
ruhen, wo draußen der große Wellkampf tobe. Er stehe ebenfalls auf dem 
Standpunkt, daß nicht bloß der Mund gespitzt, sondern gepfiffen werden 
müsse. Das gelte insbesondere für die Unternehmer, die der Durchführung 
des Hilfsdienstgesetzes und der Bildung von Arbeiterausschüssen Schwierig- 
keiten gemacht und das Gesetz zu umgehen versucht hätten. Die Landes- 
regierungen seien diesen Dingen gegenüber zu nachsichtig gewesen. 
Abg. Hoch (Soz.) führt aus, der Groenersche Aufruf (s. S. 460 f.) werde 
das Gegenteil seiner Absicht erreichen. So dürfe man zu freien, denkenden 
Arbeitern nicht sprechen. Streiks könnten nicht verhindert werden, solange 
Mißstände vorhanden seien. Pflicht der Regierung sei, in erster Linie gegen 
diese Mißstände vorzugehen und eine entsprechende Versorgung der Arbeiter 
mit Lebensmitteln zu sichern. Die politischen Forderungen der Arbeiter 
seien von den wirtschaftlichen nicht zu trennen. Es kämen da auch in Be- 
tracht Fragen der Soldatenbehandlung und andere Wünsche, die trotz ihrer 
häufigen Wiederholung bis heute nicht erfüllt worden seien. Wenn hier 
bei aller Arbeit keine Erfolge aufzuweisen seien, sei es unmöglich, draußen 
mit Erfolg gegen Streiks und Bewegungen aufzutreten. 
Abg. Bauer--Breslau (Soz.) führt aus, alle schönen Ermahnungen 
an die Arbeiterschaft müßten erfolglos bleiben, wenn die Ursachen der Un- 
zufriedenheit nicht beseitigt würden. Vor allen Dingen müsse man in den 
Betrieben des Heeres und der Marine mit gutem Beispiel vorangehen. 
Trotz aller Zusagen seien in den staatlichen Betrieben noch immer keine 
Arbeiterausschüsse auf Grund des Hilfsdienstgesetzes errichtet. Redner kriti- 
siert ebenfalls scharf den Groenerschen Aufruf, für Befehle von einer mili- 
tärischen Stelle aus hätten die Arbeiter kein Verständnis. Sie lachten über 
eine solche Sprache, damit könne man ihnen nicht imponieren. Es scheine, 
daß dieser Aufruf, der wie aus der Pistole geschossen komme, von rechts- 
stehender politischer Seite nicht unbeeinflußt sei. Die Regierung würde in 
ihrem eigenen Interesse handeln, wenn sie engen Kontakt mit der organi- 
sierten Arbeiterschaft hielte, der aber in diesem Fall gefehlt habe. Viel-
	        
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