Ventsches Reich. (April 24.— Mai 1.) 453
ist zu spät. Der Staatssekretär gibt dann eine ausführliche Darstellung der
bisherigen Maßnahmen zur Lebensmittelversorgung und fährt fort: Noch
am 22. März hat der engl. Lebensmitteldiktator, Lord Devonport, im Ober-
haus erklärt, eine starke Verminderung des Brotverbrauchs sei nötig, aber
es würde ein nationales Unglück sein, wenn England zum Zwang greifen
müsse. Sein Vertreter Bathurst hat um dieselbe Zeit gesagt: Wir wollen
ein so unengl. System nicht einführen. Erstens, weil wir glauben, dem
Patriotismus des Volkes unsere Sparsamkeitswünsche anvertrauen zu können,
dann aber, weil — wie Deutschlands Beispiel zeige — das Zwangssystem
keinen Erfolg verspricht; schließlich, weil ein solches System einen zu ver-
wickelten Verwaltungsapparat und ein zu umfangreiches Personal von Män-
nern und Frauen erfordert, das besser anderweitig beschäftigt werden kann.
Inzwischen hat die engl. Regierung, wenn die letzten Nachrichten zutreffen,
sich entschlossen, zu diesem unengl., in Deutschland gescheiterten System
berzugehen, und sie behauptet, daß die ganze Organisation bereitstehe.
Ich hätte noch ein Wort zu sagen über die großzügigen Maßnahmen, die
ur Förderung des Ackerbaues in England in die Wege geleitet worden
sind. Ich unterlasse es, denn diese Maßnahmen werden weder bis zur
nächsten Ernte noch für die nächste Ernte etwas helfen. Der Ausfall in
der Winterbestellung wird selbst mit den größten Anstrengungen durch die
Frühjahrbestellung kaum auszugleichen sein. Erst die Ernte 1918 könnte
bestenfalls einen Erfolg bringen. Bis dahin ist ein zu weiter Weg, ein
Leidensweg für England, für alle Länder, die auf Nahrungsmittelzufuhr
angewiesen sind. Wenn nicht alle Zeichen trügen, wird auf die Weltmiß-
ernte 1916 eine Weltmißernte 1917 folgen. In den Ver. Staaten lautet
die offizielle Staatenstandsschätzung schlechter denn je, auf 63,4 gegen 78.3
im Vorjahre. Der Ertrag des Winterweizens wird auf nur 430 Mill.
Bushel veranschlagt gegen 492 Mill. im Vorjahre und 650 Mill. im Jahre
1915. Also auch die Perspektive des neuen Erntejahrs ist trübe und ver-
spricht unseren Feinden keine Rettung.
Wie wir unserseits stehen, ist den Herren bekannt: knapp, aber
sicher; denn wir stehen auf den eigenen Füßen. Heute können wir sagen:
Der Hungerkrieg, dieses phantastische Verbrechen an der Menschheit, hat
sich gegen seine Urheber gewendet. Wir halten den Feind mit eisernem
Griff. Niemand wird das Schicksal wenden. Auch nicht die Menschheits-
apostel jenseits des großen Wassers, die den Schutz der kleinen Völker jetzt
dadurch zu betätigen beginnen, daß sie durch Ausfuhrverbote die uns be-
nachbarten Neutralen blockieren und so mit der Hungerpeitsche in den Krieg
gegen uns treiben wollen. Die Feinde spüren die Faust, die ihnen am
Nacken sitzt. Sie suchen die Entscheidung zu erzwingen. England, die Be-
herrscherin der Meere, sucht die Entscheidung auf dem Lande, jagt seine
Söhne zu Hunderttausenden in Tod und Verderben. Ist das ein England,
das auf seiner Insel gemächlich warten kann, bis uns der Hunger zwingt,
das warten kann, bis der große Bruder jenseits der Atlantic mit Schiffen
und Millionenheeren auf dem Plan erscheint und mit alles erdrückender
Uebermacht zum vernichtenden Schlag ausholt? — Nein, m. H., unsere
Feinde haben keine Zeit mehr zu warten. Die Zeit arbeitet jetzt für uns
Gewiß, die Probe, auf die uns die Weltgeschichte stellt, ist ungeheuer. Was
unsere Truppen leisten, was unsere blauen Jungen leisten, steht hoch über
jedem Vergleich. Aber sie werden es schaffen. Auch in der Heimat ist es
schwer — lange nicht so schwer wie draußen, aber schwer genug. Auch die
Heimat muß und wird es schaffen. Wenn wir uns selbst treu bleiben,
wenn wir das eigene Haus in Ordnung halten, wenn wir die innere Ge-
schlossenheit bewahren, dann haben wir Dasein und Zukunft für unser Vater-