Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Erster Teil. (58a)

Beutsches Reich. (Mai 3.—7.) 479 
schutzbestimmungen teilweise außer Kraft zu setzen. Selbstverständlich seien 
wir eifrig darauf bedacht, Wirtschaft und Kultur der besetzten Gebiete, so 
gut es der Krieg erlaube, zu schonen. Zu ihrer Hebung sei Außerordent- 
liches geleistet worden, trotz den großen Schwierigkeiten, die sich der Ver- 
waltung durch die Vielgestaltigkeit der Nationalitäten entgegenstellten. 
Am 7. bespricht Oberst Marquardt als Vertreter des Kriegsamts 
die getroffenen neuen Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Lage in 
Polen, die Bestimmungen über die Beurlaubung der in Deutschland be- 
schäftigten Arbeiter, den Wechsel der Arbeitsstelle, die Stellung der Arbeiter 
zu den Gewerkschaften. Alle diese Maßnahmen bezweckten Milderungen der 
vorhandenen Beschwerden, indessen hart im Raume stoßen sich die Sachen. 
Nach der Proklamation Polens machte sich eine starke Heimwanderung be- 
merkbar, der im Interesse des deutschen Wirtschaftslebens und der Polen 
selbst entgegengetreten werden mußte. Glücklicherweise ist sie jetzt abgeflaut. 
Abg. Haas (Fortschr. Vp.) erklärt zunächst, der Grußerlaß sei nicht 
nur für die Offiziere lästig, sondern ein erzwungener Gruß sei auch ein 
Widersinn. Der Erlaß sei schädlich gewesen, zumal bei einer im allgemeinen. 
uns nicht feindlichen Bevölkerung. Er schildert dann die mannigfaltigen 
Stimmungen in Polen und ihre historischen, politischen und wirtschaftlichen 
Gründe. Die Polen hätten kein Verständnis für gemeinsame Interessen. 
Unsere alte Polenpolitik sei noch nicht vergessen und lasse eine Begeisterung 
für uns nicht aufkommen. Gleichwohl sei es möglich, einen Staat zu schaffen, 
der zuverlässig auf der Seite der Zentralmächte stehe, weil der landwirt- 
schaftliche Grundbesitz von einem solchen Anschluß große Vorteile haben 
würde. Doch dazu gehöre Zeit. Es gebe noch viele beschäftigungslose jüdische 
Arbeiter, die man ohne Zwangsaushebung haben könnte, nur müßte man 
sie zweckmäßig behandeln. Aber es geschehe nichts, es fehle an der erforder- 
lichen Organisation und an der Klarheit über die zur Entscheidung zu- 
ständige Stelle. Von den Juden seien 90 % eine indifferente Masse ohne 
sprachlichen und nationalen Willen. Es gebe in Polen wenig Leute, die 
überhaupt zu diesen Problemen Stellung nehmen. Solle der polnische Staat 
gemacht werden, so müsse man ihm Aufgaben stellen und Befugnisse übertragen. 
Staatssekretär des Innern Dr. Helfferich führt aus, die gegebene 
Richtlinie für unsere Verwaltung in Polen sei, die deutschen und die pol- 
nischen Interessen nach Möglichkeit zu vereinbaren. Der Pflege und Meh- 
rung der Interessen des besetzten Landes seien aber Grenzen gezogen an 
den harten Erfordernissen des Krieges, in dem es sich für Deutschland um 
Sein oder Nichtsein handle. Leicht und billig sei es, schöne Worte an die 
Polen zu richten, wie es Wilson getan habe, und die Franzosen und Eng- 
länder, für die keine eigenen Interessen auf dem Spiele ständen, und auch 
die Russen, nachdem Polen für sie militärisch verloren war. Wenn man 
bedenke, in welchem Zustande die Russen uns Polen überlassen hatten, 
könne unsere Verwaltung schon heute auf beträchtliche Erfolge hinweisen. 
Wo es die Rohstoffverhältnisse erlaubten, seien Fabriken wieder in Betrieb 
gesetzt, die Landwirtschaft wieder belebt, Straßen gebaut worden. Das 
unter russischer Herrschaft im argen gelegene Schulwesen sei kräftig ge- 
fördert worden. Unsere Maßregeln auf gesundheitlichem Gebiete hätten. 
Flecktyphus und Cholera aus dem vorher verseuchten Lande verschwinden 
lassen. Auf politischem Gebiete hätten wir durch Schaffung und Belebung 
einer kommunalen Selbstverwaltung Grundlagen für die Zukunft gelegt. 
Die Polen dürften bei ihren Klagen, die eben aus den Kriegsverhältnissen 
zu erklären seien, nie vergessen, daß ihr Vaterland nur uns und unseren 
Siegen eine künftige Selbständigkeit verdanken könne, folglich sei es nur 
gerecht und notwendig, daß sie an den Opfern dieses schweren Krieges mit-
	        
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